Das Buch Ohne Gnade: Roman
genug hatten feiern lassen, nahmen sie ihre Plätze am Jurorentisch ein, der sich mit Sanchez auf gleicher Höhe befand. Sobald die Pfiffe, das Händeklatschen und die Anfeuerungsrufe erstarben, wurde die Bühnenmitte erneut erhellt und Nina Forina trat ins Licht. Dort blieb sie kurz stehen, zeigte lächelnd ihre strahlend weißen Zähne und genoss die letzten Reste des Applauses. Dann streckte sie die Arme aus und das Publikum verstummte.
»Hallo, Leute. Seid ihr bereit zu erfahren, wer unsere fünf Finalteilnehmer sind?«
»Yeeeaaahhh!«
»Ich kann euch nicht hören. Seid ihr bereit, die Namen der fünf Finalisten zu erfahren?«
» YEEEAAAHHH !«
Nina begleitete das Gebrüll der Zuschauer mit einem Händeklatschen, ehe sie sich zur Seite wandte und auf den hinterenTeil der Bühne deutete. Das Licht der Scheinwerfer, das sie übergoss, lieferte Sanchez einen Ausblick, den er nicht erwartet hatte. Ihr Kleid war völlig durchsichtig. Jesus.
Sämtliche in die engere Wahl kommenden Konkurrenten erschienen hinter ihr auf der Bühne. Es waren etwa einhundert, doch auf der Bühne sah es aus, als seien es doppelt so viele. Elvis war unter den ersten, die herauskamen, und winkte und schickte dem Publikum Kusshändchen. Er machte einen selbstsicheren Eindruck im Gegensatz zu Julius, der zu Sanchez’ Überraschung ausgesprochen nervös erschien.
Als der Lärm zu einem aufgeregten Murmeln herabgesunken war, wandte Nina sich an die Jury, die nun mit dem Rücken zum Publikum in der Bühnenmitte saß.
»Nigel, wären Sie so nett und verraten uns, wer der erste Wettkampfteilnehmer ist, der es in das Finalisten-Quintett der Show des heutigen Abends geschafft hat?«
Powell saß zwischen seinen beiden Kolleginnen und spreizte sich wie ein Pfau. Sein Gesicht erschien auf einem riesigen Fernsehschirm im Rückraum der Bühne, und aus Gründen, die Sanchez nicht verstand, löste es einige hysterische Schreie von einigen jungen Frauen im Publikum aus. Als blickte er in einen Spiegel, schaute Powell zu dem Bildschirm hoch und zeigte in einem breiten Grinsen seine übertrieben gebleichten weißen Zähne, die zu seiner orangenen Sonnenbräune in einem scharfen Kontrast standen. Nachdem er sich so lange in der Aufmerksamkeit seiner weiblichen Fans gesonnt hatte, dass Sanchez schon fast vor Übelkeit würgen musste, reagierte er schließlich auf Ninas Bitte.
»Das tue ich nur zu gerne, Nina«, sagte er mit einem Augenzwinkern, das Sanchez beinahe genauso ekelerregend fand. »Der erste Finalist hat uns alle mit seinem Auftritt beeindruckt. Seine Stimme war vielleicht nicht die beste, aber wenn er sich für das Finale den richtigen Song aussucht, hat er eine echte Chance, diesen Wettbewerb zu gewinnen. Nina, unser erster Finalteilnehmer ist …« Er hielt für eine lächerlich lange Zeit inne,um das Publikum auf die Folter zu spannen, ehe er verkündete: »Freddie Mercury!«
Der Freddie-Mercury-Imitator vollführte einen Freudensprung, reckte die Faust in die Luft und stieß ein halblautes »Jaaa!« hervor. Er rannte hinüber zu Nina Forina, die ihn umarmte und ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange hauchte, ehe sie ihn auf einen Platz ein paar Meter rechts hinter ihr dirigierte. Freddie schaute sich um, entdeckte Sanchez und schickte ihm ein strahlendes Siegerlächeln. Sanchez erwiderte das Lächeln und murmelte mit zusammengebissenen zähnen die Worte: »arrogantes Arschloch«.
Abermals heizte Powell das Publikum mit seiner dämlichen Warterei an, ehe er Janis Joplin als zweite Finalistin nannte. Die begeisterte Interpretin drängte sich durch die Schar der Konkurrenten im hinteren Bühnenraum und wedelte mit den Armen wie eine hyperaktive Irrenhauspatientin auf Drogen. Sie war eine Hippiebraut mit langem braunem Haar und trug eine getönte Sonnenbrille mit großen kreisrunden Gläsern und ein grünes mit Blumen bedrucktes Kleid, das dicht über ihren Knien endete. Sie hatte auf hochhackige Schuhe verzichtet und sich stattdessen für bequeme weiße Turnschuhe entschieden. Abgerundet wurde ihr Outfit durch eine Anzahl unterschiedlich langer Perlenketten, die um ihren Hals hingen, dazwischen ein übergroßes Yin-Yang-Symbol, das vor ihrem Bauchnabel baumelte. Sie bekam von Nina die obligatorische Umarmung samt Kuss, wurde überraschend begeistert vom Publikum beklatscht und nahm neben Freddie Mercury Aufstellung.
Das wären zwei, dachte Sanchez. Nur noch drei Plätze sind frei. Man kann nur hoffen, dass Julius einen halbwegs
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