Das Buch ohne Namen - Anonymus: Buch ohne Namen - The Book With No Name
was sich wie eine Warnung und ein Ausschluss jeglicher Haftungsübernahme las:
Verehrter Leser!
Nur wer reinen Herzens ist,
mag auf die Seiten dieses Buches blicken.
Jede umgeblätterte Seite,
jedes gelesene Kapitel bringt ihn dem Ende näher.
Nicht alle werden es schaffen. Die zahlreichen unterschiedlichen Handlungsstränge und Stilrichtungen mögen manch einen
verwirren und blenden, und obwohl sie gleich vor ihm liegt, ihn während der ganzen Zeit unablässig nach der Wahrheit suchen lassen.
Die Dunkelheit wird kommen, und mit ihr großes Übel.
Diejenigen, die dieses Buch gelesen haben,
werden das Licht vielleicht niemals wieder erblicken.
Unglücklicherweise besaß das Buch kein Inhaltsverzeichnis, keine Kapitelüberschriften und keinen Index, und jegliche Informationen über das Auge des Mondes waren mit großer Wahrscheinlichkeit über sämtliche Seiten verteilt. Den gesamten handschriftlichen Text von vorn bis hinten zu lesen hätte drei Tage mit wenig oder überhaupt keinem Schlaf in Anspruch genommen. Zu lange – das Mondfestival näherte sich dem Höhepunkt, und es gab definitiv nicht genügend Zeit. Und weil die Mystische Lady sich dieser Tatsache sehr bewusst war, begann sie die handgeschriebenen Seiten nach einer Erwähnung des Auges zu überfliegen.
Es dauerte eine Stunde, bis fast zehn Uhr abends, ehe sie den ersten Hinweis entdeckte.
Weil sie die Seiten auf der Suche nach Passagen über das Auge des Mondes nur überflog, erfuhr die Mystische Lady nicht sehr viel über das wesentliche Thema des Buches. Sie fand lediglich heraus, dass der Autor der ersten Kapitel andeutete, einer der zwölf Apostel Jesu Christi zu sein, der das Buch nach der Kreuzigung als eine Art Tagebuch angefangen hatte. Wo andere das Leben und Werk Jesu Christi in den Texten dokumentiert hatten, die später das Neue Testament bilden sollten, hatte dieser Autor lediglich über die Auswirkungen und unmittelbaren Folgen der Kreuzigung geschrieben.
Die Mystische Lady stellte schnell fest, dass ihre Augen und ihr Verstand sich rasch an die Handschrift gewöhnten. Die Seiten bestanden aus dickem, vergilbtem Pergament, was den erstaunlich guten Zustand des Buches erklärte, trotz des hohen Alters.
Irgendwann war das Tagebuch jemandem in die Hände gefallen, der es ins Englische übersetzt hatte. Spätere Einträge waren alle in der gleichen Sprache erfolgt. Nach etwa einem Fünftel des Buches änderte sich die Handschrift, und die Geschichte erzählte vom Leben und den Abenteuern eines Mannes namens Xavier, der auf der Suche nach dem Heiligen Gral durch Ägypten gereist war. Es war ein merkwürdiger Bruch, denn der erste Teil war vollständig als Tagebuch gehalten, während die Abenteuer dieses Xavier die Mystische Lady an nichts so sehr wie an ein schlechtes Drehbuch für einen neuen Indiana Jones -Film erinnerten. Doch auf diesen Seiten fand sie endlich den ersten brauchbaren Hinweis auf den Gegenstand ihrer eigenen Nachforschungen.
Die Geschichte erzählte, wie Xavier einen Tempel besucht hatte und dort auf ein Gemälde von einem prachtvollen blauen Stein gestoßen war, der bekannt war als das Auge des Mondes. Der Verbleib dieses Steins, so fand er heraus, war ein wohlgehütetes Geheimnis, das die Mönche des Tempels nicht mit ihm teilen wollten. Der anonyme Autor schilderte diesen Teil seiner Geschichte mit großer Leidenschaft und beschrieb auf mehreren Seiten Xaviers brennenden Wunsch, den Stein zu finden und seine Geheimnisse zu enträtseln. Anscheinend war es den Mönchen nach ihren eigenen Eiden verboten, Besitz anzuhäufen, ganz sicher Besitz von finanziellem Wert, daher faszinierte es Xavier, dass sie etwas offensichtlich so Wertvolles aufbewahrten und – wichtiger noch – versteckt hielten.
Er war eines Tages mehr oder weniger zufällig über das Bild gestolpert, als er nach Vater Gaius gesucht hatte, dem Abt des Klosters. Gaius war sehr aufgebracht wegen Xaviers Neugier und zerstörte das Gemälde, indem er es abnehmen und verbrennen ließ.
Letzten Endes führte Xaviers Suche nach dem Heiligen Gral ihn zu neuen Ufern, und das Auge des Mondes wurde für eine ganze Weile nicht mehr in dem Buch erwähnt. Die Mystische Lady hatte sich so sehr in die Abenteuer von Xavier vertieft, dass sie große Lust verspürte, weiter über ihn und seine Suche nach dem Heiligen Gral zu lesen, doch sie wusste, dass dazu später noch genügend Zeit sein würde. Vorher musste sie alles über das Auge des Mondes herausfinden, was
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