Das Buch ohne Namen - Anonymus: Buch ohne Namen - The Book With No Name
gebracht hatte. Doch am Ende dieser zehn Minuten hielt der Wagen, und der Motor wurde abgeschaltet. Eine oder zwei Sekunden Stille, dann das Geräusch von wenigstens zwei Wagentüren, die geöffnet und wieder geschlossen wurden, und ein leichtes Schaukeln. Er vernahm gedämpfte Stimmen, dann wurde der Kofferraumdeckel geöffnet, und Jensen blickte hinauf zu zwei gesichtslosen Gestalten in der Dunkelheit.
Er hatte recht gehabt. Es waren zwei Männer gewesen, die ihn angegriffen hatten.
Zwei sehr große und kräftige Männer obendrein, doch es war zu dunkel, als dass er ihre Gesichter hätte erkennen können.
»Detective Miles«, sagte die gleiche tödliche, eiskalte Stimme, die Miles schon einmal in der Dunkelheit mitten in der Wildnis überrascht hatte. »Ihr letztes Stündlein hat geschlagen.«
Fünfundvierzig
Die Mystische Lady hatte schon immer zu Verfolgungswahn geneigt. Es war Teil ihres Charmes und einer der Gründe, warum Leute sie auch nur im Entferntesten ernst nahmen. Ganz ohne Zweifel trug es zu ihrer mysteriösen Ausstrahlung und ihrer Glaubwürdigkeit bei und half in der Folge, ihr Bankkonto aufzubessern. Bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen sie sich weiter als einen Steinwurf von ihrer eigenen Haustür entfernte, drehte sie sich unablässig um, weil sie auf diese Weise sicherstellen wollte, dass sie nicht verfolgt wurde. Die Kinder in der Gegend hielten sie für verrückt (wie im Übrigen die meisten Erwachsenen auch). Die einzigen Menschen, die sie nicht als völlige Irre abtaten, waren die in den späten Teenagerjahren bis vielleicht Mitte zwanzig, und das lag hauptsächlich daran, dass sie mit Drogen experimentiert hatten und aus diesem Grund ein wenig offener waren, was den Glauben der Mystischen Lady an das Übernatürliche anging.
Sie verließ das Haus niemals nach Einbruch der Dunkelheit, aus Angst vor Vampiren (und Untoten ganz allgemein; mit der Hölle, Geistern, Zombies und Werwölfen war nicht zu spaßen!). Und es geschah in der Regel mit größter Anspannung, dass sie während des Mondfestivals überhaupt nach draußen ging. All die teuflischen Elemente, die das Festival anzog, hätten normalerweise dazu geführt, dass sie sich mit Lebensmitteln für einen ganzen Monat hinter ihren vier Wänden verbarrikadierte, anstatt die Sicherheit ihres Hauses zu verlassen.
Doch diesmal obsiegte ihre Neugier.
Der erst kurze Zeit zurückliegende Besuch von Kacy und Dante hatte sie zum Nachdenken gebracht. Nachdem die beiden wieder gegangen waren, hatte sie sich das Gehirn zermartert wegen des Steines, der als »Auge des Mondes« bekannt war. Die meisten Geschichten, an die sie sich erinnern konnte, erzählten mit großer Wahrscheinlichkeit Unsinn, doch sie gehörten definitiv zur lokalen Legende. Daher hatte sie am frühen Nachmittag eine Reise quer durch Santa Mondega in die Städtische Bücherei unternommen. Die Einrichtung verfügte über eine sehr gut ausgestattete Abteilung über einheimische Mythologie und Legenden, daher bestand eine gute Chance, dass sie in der Bücherei auf etwas stieß.
Doch es hatte sich als äußerst schwierig erwiesen, ein Buch mit Informationen über das Auge des Mondes zu finden, schwieriger als erwartet. Wäre nicht ihre Intuition gewesen, ihr sechster Sinn, hätte sie möglicherweise überhaupt nichts gefunden. So jedoch machte sie eine Entdeckung. Ein Buch ohne Namen, von einem anonymen Autor. Ein solches Buch in den Regalen der ausgedehnten Bücherei zu finden war nicht leicht, und es dauerte eine Weile. Folglich war sie, bis sie mit ihrem Fund nach Hause zurückgekehrt war, sehr müde und sehr hungrig.
Sie machte sich ein leichtes Mittagessen und hielt ein Nickerchen, bevor sie am frühen Abend das Buch aufschlug. Die Reise in die Bücherei hatte sich als durchaus der Mühe wert erwiesen, und nun saß sie an ihrem Tisch und las ein acht Zentimeter dickes, in abgegriffenes braunes Leder gebundenes Buch. Es war unglaublich alt, und sie war erstaunt, dass die Bücherei etwas so Wertvolles überhaupt in die Ausleihe gab. Andererseits – wie sollte jemand, der nicht explizit danach suchte, es jemals finden?
Das Buch war (zu ihrer Erleichterung) auf Englisch geschrieben, sehr sauber und größtenteils mit schwarzer Tinte in Handschrift, auch wenn die Schrift von unterschiedlichen Personen stammte, ebenso wie die zahlreichen Randbemerkungen und Korrekturen.
Es begann mit einer handschriftlichen Warnung gleich auf der ersten Seite. Der Autor hatte eingefügt,
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