Das Buch ohne Namen - Anonymus: Buch ohne Namen - The Book With No Name
Mystische Lady ihnen schließlich die Tür öffnete. »Was für eine Wahrsagerin sind Sie, wenn Sie nicht wissen, dass ich vor Ihrer Tür stehe?« und so weiter – schwache Witze, die sie im Verlauf der Jahre tausendfach gehört hatte.
Sehr verärgert und nicht wenig ängstlich erhob sie sich und ging zur Tür. So behutsam und leise sie konnte sperrte sie die Tür auf und spähte hinaus, bereit, jeden eventuell dort stehenden Idioten mit einer Kanonade von Schimpfworten zu überziehen. Doch was sie sah, war die zweite Überraschung innerhalb der letzten paar Minuten.
Vor der Tür stand eine junge Frau in der kalten Nacht. Sie war ganz in Schwarz gekleidet. Die Mystische Lady hätte sie fast nicht gesehen in der Dunkelheit, wäre nicht ihr Gesicht so blass gewesen. Sie war fast unsichtbar in der Nacht.
»Wissen Sie überhaupt, welche Uhrzeit wir haben?«, fragte sie die junge Frau ungehalten.
»Es tut mir leid, bitte entschuldigen Sie. Ich brauche dringend Ihre Hilfe«, erwiderte die junge Besucherin.
»Wie heißen Sie?«
»Jessica.«
»Nun, Jessica, ich empfehle Ihnen, morgen früh wiederzukommen, nach Anbruch des Tages. Ich habe geschlossen und wollte gerade zu Bett gehen.«
»Bitte, Ma’am. Ich benötige nur fünf Minuten Ihrer Zeit«, flehte die junge Frau.
Sie wirkte durchgefroren, müde und verzweifelt. Mehr noch, sie sah stocknüchtern aus und hatte flehende Augen, sodass sich die Mystische Lady schließlich erbarmte. Dieses hübsche, unschuldig aussehende junge Ding war bestimmt kein Witzbold, oder?
»Ich hatte gehofft, dass Sie mir sagen können, wer ich bin«, fuhr Jessica fort. »Verstehen Sie, ich habe die letzten fünf Jahre im Koma gelegen, und wie es aussieht, leide ich an Gedächtnisschwund.«
Hmmm , dachte die alte Frau bei sich. Vielleicht doch ein Witzbold .
»Was für ein Unsinn!«, erwiderte sie steif. »Ehrlich, eine bessere Geschichte ist Ihnen nicht eingefallen?«
»Bitte, Ma’am! Sie müssen mir glauben! Ich habe immer wieder Visionen … oder Rückblenden … Ich denke, ein Mann namens Bourbon Kid ist hinter mir her und will mich töten. Es hat alles irgendwas mit einem Auge des Mondes zu tun.«
Das Auge des Mondes! Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit? Die Erwähnung des Namens Bourbon Kid und des Mondauges waren mehr oder weniger die einzigen vorstellbaren Gründe, warum die Mystische Lady zu dieser späten Stunde jemanden in ihr Haus ließ. Sie suchte selbst alles an Informationen über das Auge des Mondes, was sie beschaffen konnte. Das Risiko, die junge Frau niemals wieder zu sehen, falls sie sie jetzt abwies, war einfach zu groß.
»Also schön«, gab sie nach. »Kommen Sie rein. Fünf Minuten, nicht länger.«
»Danke sehr! Sie sind sehr freundlich.«
Die Mystische Lady führte die junge Frau in ihr kleines Zimmer und bedeutete ihr, auf einem der Sessel vor dem Tisch Platz zu nehmen. Jessica tat wie geheißen.
»Was ist das für ein Buch, das Sie da lesen?«, fragte sie.
»Das geht Sie nichts an.« Die Wahrsagerin runzelte die Stirn.
Die Mystische Lady wollte sich nicht allzu sehr mit dem Schicksal der Menschen befassen, die den geheimnisvollen Stein suchten. Falls sich diese Jessica als Hochstaplerin erwies – oder Schlimmeres –, wollte die Wahrsagerin der jungen Frau auf keinen Fall verraten, dass sie sich selbst brennend für das Auge des Mondes interessierte. Sie klappte das Buch zu und legte es unter dem Tisch auf den Boden, bevor sie ihren üblichen Platz auf dem hochlehnigen Holzstuhl gegenüber Jessica einnahm.
»Nun dann, Jessica. Was wissen Sie über sich selbst?«
»Nicht viel. Ich hatte zu viel Angst herumzufragen, wegen der Gefahr, dass jemand mich als leichte Beute sieht und meine Lage ausnutzt. Leute sehen eine junge Frau und stellen fest, dass sie niemanden kennt und niemand sie vermisst, und sie kommen auf die komischsten Gedanken, verstehen Sie?«
»Das stimmt«, sagte die Mystische Lady. »Also wissen Sie überhaupt nichts?«
»Doch. Ein klein wenig weiß ich. Ich weiß, dass ein Mann namens Bourbon Kid vor fünf Jahren versucht hat, mich zu töten, und das ist der Grund, warum ich im Koma lag. Ich vermute, dass er jetzt wieder hinter mir her ist, aber ich kenne den Grund dafür nicht. Ich weiß nicht, was ich getan habe, dass er so hinter mir her ist. Glauben Sie, Sie können mir helfen? Mein Freund Jefe hat vorgeschlagen, dass ich Sie um Hilfe bitte.«
»Jefe, sagen Sie?«, fragte die Mystische Lady, die den Namen des
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