Das Buch ohne Namen - Anonymus: Buch ohne Namen - The Book With No Name
der Hoffnung, dass sie seine freundliche Geste erwiderte. Zu seiner Überraschung tat die Sekunden zuvor noch aufgebrachte Mrs. Price ihm den Gefallen, wenngleich widerwillig. Ihre Augen deuteten sogar an, dass sie sich an Jensens kühler Gelassenheit erwärmte. Wenn die Süße sich in mich verknallt , dachte er, könnte das die Dinge ein wenig vereinfachen.
Die Bibliothekarin begann auf einer Tastatur zu tippen, die unterhalb des Schalters außer Sicht angebracht war. Sie tippte blind und hatte den Blick auf einen Monitor zu ihrer Rechten gerichtet. Jensen konnte nicht sehen, was auf dem Bildschirm erschien, doch er hoffte, dass sie den Monitor umdrehen und ihm die Ergebnisse ihrer Suche zeigen würde. Was sie jedoch nicht tat. So sehr hatte sie sich wohl doch noch nicht für ihn erwärmt.
»Sie haben recht«, sagte sie ohne jede Spur von Überraschung in der Stimme. »Annabel de Frugyn hat im Moment ein Buch ausgeliehen, und es hat in unseren Unterlagen weder einen Titel noch einen namentlich erwähnten Autor.«
»Gut, genau das dachte ich mir«, sagte Jensen. »Können Sie mir verraten, was das für ein Buch ist? In welcher Sektion steht es, in welcher Kategorie? Oder gibt es jemanden in der Bücherei, der irgendetwas über das Buch weiß?«
»Ja, Sir, das kann ich. Aber nur, wenn Sie ein Mitglied dieser Bücherei sind, und das glaube ich nicht. Ich arbeite bereits seit zehn Jahren hier, und ich kenne fast all unsere Kunden. Ich habe Sie noch nie vorher hier gesehen.«
»Wenn es weiter nichts ist, ich kann Ihnen versichern, dass ich in der Tat Mitglied bin, Mrs. Price. Mein Name ist John Creasy, und ich habe erst letzte Woche zwei Bücher ausgeliehen.«
Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Sie tippte noch ein wenig mehr auf ihrer Tastatur, und dann starrte sie stirnrunzelnd auf ihren Monitor. Wenn alles nach Plan lief, sah sie dort die Aufzeichnungen über die Ausleihen eines gewissen John W. Creasy, eines erfundenen Namens, den Jensen erst vergangene Nacht von seinem Laptop aus in die Datenbank der Bücherei eingegeben hatte – für den Fall, dass er auf Widerstand wie diesen hier traf. Es war der Name eines ausgebrannten Ex-Marines, den Denzel Washington in dem Film Man on Fire – Mann unter Feuer gespielt hatte. Eines von jenen Aliasen, die Jensen manchmal benutzte, und er besaß sämtliche Papiere, um sich zu legitimieren, einschließlich einer Büchereikarte.
»Haben Sie einen Ausweis, Sir? Und Ihre Büchereikarte?«, erkundigte sich Mrs. Price.
»Selbstverständlich, Mrs. Price, beides.«
Jensen zog eine Brieftasche aus der Innentasche seines Jacketts, nahm die Büchereikarte und den Führerschein hervor und reichte beides der Bibliothekarin, die inzwischen wieder missmutig dreinblickte. Sie schnappte beides aus seinen Fingern, studierte den Ausweis weniger als eine Sekunde und warf ihn zusammen mit der Karte auf den Tresen.
»Eigenartig«, sagte sie. »Abgesehen davon, dass Sie schwarz sind, sehen Sie Denzel Washington überhaupt nicht ähnlich.«
Ihr Verhalten implizierte, dass sie den Film ebenfalls gesehen hatte und wusste, dass Jensen log, was seine Identität betraf. Trotzdem, sinnierte er – wieso sollte eine Bibliothekarin einem Mann gegenüber so misstrauisch sein, der sich ausweisen konnte? Vielleicht sollte er aufhören, den Namen John Creasy zu benutzen. Es war eine Schande, weil er ihn wirklich gemocht hatte, doch wenn schon eine Bibliothekarin die falsche Identität durchschauen konnte, dann konnte jedes kriminelle Genie dies ebenfalls mit Leichtigkeit.
»Also, was wissen Sie über dieses Buch?«, fragte er erneut.
»Nichts«, antwortete sie. Ihr säuerlicher Blick war einem selbstgefälligen Grinsen gewichen. »Außer, dass eine Lady namens Annabel de Frugyn es kürzlich ausgeliehen hat.«
»Sie haben gesagt, Sie kennen fast alle Mitglieder der Bibliothek persönlich, richtig? Abgesehen von mir, heißt das.«
»Ja.«
»Also, können Sie mir nun sagen, wo Annabel de Frugyn wohnt?«
»Ihre Adresse ist nicht eingetragen.«
»Ich habe nicht gefragt, ob sie eingetragen ist.« Jensens Tonfall wurde von Sekunde zu Sekunde autoritärer. »Ich habe Sie gefragt, ob Sie mir sagen können, wo Miss de Frugyn wohnt.«
»Sie ist eine Zigeunerin. Sie wohnt nicht an einem festen Ort.«
»Und Sie leihen Bücher an Personen ohne festen Wohnsitz aus?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weil ich kann.« Sie hielt seinem Blick mit ausdruckslosem Gesicht stand.
Jensen beugte sich vor und
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