Das Buch ohne Staben - Anonymus: Buch ohne Staben - The Eye of the Moon
Kapuze seines Parkas hoch und richtete seine Aufmerksamkeit wieder nach vorn auf den Prediger. Keine gute Idee, einen geistig zurückgebliebenen Jungen anzustarren und dabei beobachtet zu werden. Es machte einen irgendwie exzentrischen Eindruck. Und war seinem Ruf sicher nicht dienlich.
Oben bei der Kanzel legte der Reverend ein paar Schalter auf einer Konsole um. Zuerst begannen Lämpchen auf dem Soundequipment zu leuchten und zu flackern, und dann setzte die Musik ein. Die Titelmelodie von 2001: Odyssee im Weltraum schmetterte aus einer ganzen Serie gewaltiger Lautsprecher. Sanchez mochte die Melodie [1] , und sie schuf eine recht erstaunliche Atmosphäre, ganz besonders im dunklen, zugigen Mittelschiff der Kirche, während immer noch der Regen auf das Dach und gegen die Fenster prasselte.
Die Musik hatte weniger als zwanzig Sekunden gespielt, als von hinten ein Schwall kalter, feuchter Luft in das schwach erhellte Gebäude fuhr, begleitet von einem moderigen, unangenehmen Geruch. Irgendjemand hatte die große Doppeltür hinter den Reihen von Kirchenbänken geöffnet.
Alles drehte sich um, und der Reverend starrte aus zusammengekniffenen Augen von der Kanzel über die Köpfe seiner Gemeinde hinweg zur Tür, um zu sehen, wer da wohl so spät zum Gottesdienst erschien. Alle sahen einen Mann eintreten. Er trug einen langen schwarzen Umhang und hatte die Kapuze tief in die Stirn gezogen. Einen Moment später folgte eine Anzahl weiterer Männer, allesamt gekleidet wie der erste. Sie schwärmten nach rechts und links aus, sieben insgesamt, und der letzte von ihnen schloss hinter sich die schweren Türen. In den tiefen Schatten im hinteren Teil der Kirche waren die schwarzen Gestalten beinahe unsichtbar. Die Gestalten verbreiteten eine beängstigende, unheilvolle Aura, die über die Versammlung hinwegwehte wie zuvor der Gestank, als die Türen geöffnet worden waren. Diese Männer gehörten nicht hierher – um das zu erkennen, musste man kein Genie sein. Es war All Hallows Eve, Halloween – der Abend vor Allerheiligen –, und diese sieben vermummten Kreaturen sahen aus wie Schwarze Männer, die in die Kirche gekommen waren, um Chaos und Verderben zu bringen.
Der Reverend erkannte die Bedrohung augenblicklich und legte einen Schalter auf seinem Kontrollpult um. Die Beleuchtung im hinteren Teil der Kirche flammte auf. Die sieben Männer waren mit einem Mal hell angestrahlt und für alle zu sehen, und die grelle elektrische Beleuchtung machte jedes Überraschungsmoment zunichte, falls sie gehofft hatten, sich in der düsteren Kirche über jemanden herzumachen. Eigentümlicherweise war es genau das, was ihnen vorgeschwebt hatte.
Während die Musik lauter und eindringlicher wurde, starrten die Kirchgänger in ihren Bänken auf die sieben Männer, alle in Todesangst vor dem, was als Nächstes geschehen würde. Schließlich ergriff der Reverend für alle das Wort und wandte sich an die unwillkommenen Besucher.
»Ihr und euresgleichen seid hier nicht willkommen. Verlasst sofort diesen Ort!« Er redete mit ruhiger Stimme in sein Mikrofon, doch sie war laut genug, um die Musik zu übertönen. Und er redete mit einer unverkennbaren Autorität, die Sanchez trotz seines Schreckens in seiner Meinung bestätigte. Ja, er ist ein beeindruckender Mistkerl, keine Frage.
Einige Sekunden lang rührten sich die Schatten an der Rückseite der Kirche nicht. Dann trat der in der Mitte, der auch als Erster hereingekommen war, einen Schritt vor und schlug seine Kapuze zurück. Er hatte ein schmales, geisterhaft weißes Gesicht, eingerahmt von dunklem schulterlangem Haar. Als er den Mund zum Reden öffnete, enthüllte er riesige hellgelbe Fangzähne.
»Es ist Halloween, und es ist Geisterstunde«, zischte er. »Wir sind die Vampire vom Hoods-Clan, und wir erheben Anspruch auf diese Kirche und alle darin. Niemand kommt lebend wieder hier raus! «
Zu behaupten, seine Worte lösten eine Panik aus, wäre eine wilde Untertreibung gewesen. Jede einzelne Frau und mindestens die Hälfte aller Männer im Gotteshaus schrien und kreischten und sprangen von ihren Plätzen auf. Es gab kein Halten mehr – dumm nur, dass niemand so recht wusste, wohin er rennen sollte. Die gesamte Kirche lag im Halbdunkel, mit Ausnahme der hinteren Wand, wo die sieben Vampire standen, und der Reverend machte keine Anstalten, weitere Lichter einzuschalten. Zu Anfang jedenfalls nicht. Doch dann, als die Titelmelodie von 2001 endete, setzte ein neues Lied ein, und er
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