Das Buch ohne Staben - Anonymus: Buch ohne Staben - The Eye of the Moon
Jahrestags schon wieder zu einem wollte. Der einzige Trost, den sie aus diesem Ausflug zog, war die Tatsache, dass Dante sich wahrscheinlich wochenlang das Gehirn zermartert hatte, bevor er auf diese Idee gekommen war. Und weil sie dankbar war, dass er überhaupt daran gedacht hatte, war sie auch glücklich darüber. Sozusagen. Dante mochte vielleicht nicht sonderlich hell sein, aber er hatte ein wahrhaft gutes Herz, und selbst wenn sein – in seinen Augen wahrscheinlich genialer – Einfall, sie zu noch einem weiteren Wahrsager zu schleppen, in Wirklichkeit total lahm war, so spielte es überhaupt keine Rolle. Was eine Rolle spielte, war hingegen, dass er sie genug liebte, um sich überhaupt die Mühe zu machen.
Dante hatte Madame Sangria zwanzig Dollar bezahlt dafür, dass sie Kacy die Tarotkarten legte. Die Frau hatte die Karten auf dem Tisch vor sich ausgeteilt. Es war ein kleiner Tisch mit einer schmuddeligen rot-weiß karierten Tischdecke darüber. Nachdem sie die Karten mit dem Gesicht nach unten in eine Reihe gelegt hatte, drehte sie langsam eine nach der anderen um, und weil sie – vergeblich – die Spannung zu erhöhen trachtete, schwieg sie während dieser Zeit und überließ den Karten selbst das Reden.
Karte eins – die Liebenden
Karte zwei – der Narr
Karte drei – Ass der Kelche
Karte vier – der Teufel
Karte fünf – Tod
Und Karte sechs …
Als Kacy die sechste Karte sah, schlug ihr das Herz mit einem Mal bis zum Hals. Das war keine normale Tarotkarte. Es war eine besondere Karte. Es gab in sämtlichen Tarotsets auf der ganzen Welt nicht eine Karte, die war wie diese. Sie trug kein Bild, nur Text, und dieser Text besagte:
Kacy, ich liebe dich aus ganzem Herzen.
Möchtest du mich heiraten?
Sie drehte sich zu Dante um und packte seine Hand auf der Suche nach Halt. Die Karte hatte ihr den Atem geraubt. Dieser Mann, den sie liebte, dieser berüchtigte Volltrottel mit kaum mehr als einer halben Hirnzelle, hatte es doch tatsächlich geschafft, sie völlig zu überrumpeln. Sie war fassungslos.
»Ja«, murmelte sie, und ihre Augen wurden feucht. »Ja, ich liebe dich auch, du Blödmann.«
»Cool«, sagte Dante und beugte sich vor, um sie auf die Lippen zu küssen. »Dann los, verschwinden wir von hier und lassen uns volllaufen.«
»Darauf kannst du wetten.«
Dante zwinkerte der alten Wahrsagerin auf der anderen Seite des Tisches zu, murmelte ein rasches, leises »Danke« und führte Kacy aus dem Zelt. Sobald sie wieder im Freien waren, zog er sie eng an sich, und sie küssten sich so leidenschaftlich wie noch nie zuvor. Kacy wollte ihn überhaupt nicht mehr loslassen. Ihr Herz drohte zu zerspringen, so groß war ihr Glück.
»Ich werde dich unendlich glücklich machen«, flüsterte sie ihrem Verlobten ins Ohr.
»Das hast du schon«, flüsterte er zurück. »Du hast Ja gesagt.«
Eine dritte Stimme mischte sich ein. Eine Männerstimme.
»Dante Vittori, Sie sind verhaftet.«
Wie es mit solchen Aussagen so ist – Dante und Kacy waren im Bruchteil einer Sekunde zurück auf dem Boden der Tatsachen. Dante sprach laut aus, was beide dachten.
»Herrgott, verdammt und zugenäht! Was soll das heißen?«
Vor ihnen standen zwei große, stämmige Männer in schicken schwarzen Anzügen mit grauen Krawatten und sehr dunklen Sonnenbrillen. Dante löste sich von Kacy und wandte sich den beiden zu.
»Was hab ich jetzt schon wieder getan?«
Hinter den beiden Männern liefen alle möglichen und unmöglichen Leute über den Jahrmarkt, ohne irgendetwas von Dantes und Kacys misslicher Lage zu bemerken. Der Jahrmarkt bot Hunderte aufregender Dinge, die sie ablenkten, beispielsweise Kokosnusswerfen und Karusselle und dergleichen mehr. Zwei Männer in schwarzen Anzügen, die sich mit einem schmuddeligen jungen Paar unterhielten, standen ganz unten auf der Liste von Dingen, die die Jahrmarktbesucher sehen und erleben wollten.
Der Mann, der als Erster gesprochen hatte, ein großer arabisch aussehender Bursche mit einem mächtigen Schnurrbart, hielt ein Kartenetui hoch und klappte es auf. Ein Ausweis mit seinem Bild kam zum Vorschein. Er ließ Kacy und Dante nicht genügend Zeit zum Lesen, was auf dem Ausweis stand, bevor er das Etui wieder zuklappte.
»Ich bin Special Agent Baez, und das ist Special Agent Johnson«, sagte er, indem er zuerst auf sich und dann auf seinen Kollegen deutete. »Sie werden gesucht im Zusammenhang mit einer Serie von Morden in Santa Mondega. Es liegt in Ihrem eigenen
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