Das Buch ohne Staben - Anonymus: Buch ohne Staben - The Eye of the Moon
sich in dem kleinen Raum zwischen Waschbecken und Dusche an ihr vorbeimanövrierte und die Tür öffnete. Er lächelte ihr ein letztes Mal zu, dann verließ er das Badezimmer, bereit, sich zum ersten Mal seit seinem Weggang aus Santa Mondega vor über einem Jahr der Welt der Untoten zu stellen.
Eine Schande, dass er nicht aufgeweckt genug war, um etwas Eigenartiges zu bemerken, als Roxanne hinter ihm gestanden und ihm den Nacken massiert hatte.
Nämlich, dass im Spiegel über dem Waschbecken nur sein eigenes Spiegelbild zu sehen gewesen war.
Zweiundzwanzig
Der Umkleideraum im Tiefgeschoss des Polizeihauptquartiers war seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Hin und wieder gingen Beamte hinunter, um bei bestimmten Gelegenheiten unter vier Augen Dinge zu besprechen, doch man nahm es stirnrunzelnd zur Kenntnis, und die offizielle Linie lautete, dass jeder, der dort unten angetroffen wurde, sich einen ordentlichen Anschiss vor versammelter Mannschaft abholen konnte.
Und trotzdem fand sich Stephanie jetzt in genau diesem Umkleideraum wieder, zusammen mit De La Cruz, Benson und Hunter.
»Wonach genau suchen wir eigentlich hier?«, fragte sie nervös. Sie war es gewohnt, sich penibel an die Vorschriften zu halten, geschrieben oder ungeschrieben, und die Sache gefiel ihr nicht.
»Wir suchen nicht nach etwas«, antwortete De La Cruz. »Wir haben etwas gefunden, und wir denken, du solltest es sehen.«
Der Captain führte sie durch den modrigen, schmutzigen Umkleideraum zu den längst ausgedienten Duschen im hinteren Teil. Stephanie vertraute Michael De La Cruz, doch in einem unterirdischen Umkleideraum mit drei Männern zu sein (auch wenn es sich um Polizisten und Kollegen handelte) war ein wenig einschüchternd. Sie bemühte sich trotzdem, ihre Anspannung zu verbergen, während sie De La Cruz folgte. Benson und Hunter bildeten den Abschluss. Sie hielten ein wenig Abstand und unterhielten sich flüsternd miteinander.
Sobald sie in der offenen Dusche waren, drehte sich De La Cruz zu Stephanie um.
»Bereit zu sehen, warum dieser Umkleideraum nicht mehr betreten werden darf?«, fragte er sie.
Sie hob die Augenbrauen. »Ja.«
De La Cruz betätigte einen Schalter an der Wand, und ein lautes Surren erklang, gefolgt von einem anhaltenden und sehr lauten metallischen Quietschen. Die hellblau gestrichene Wand hinter den Duschen begann nach links zu gleiten. De La Cruz hatte einen geheimen Durchgang geöffnet. Einen Durchgang zu Dingen, die man wahrscheinlich besser auf sich beruhen ließ. Stephanie wurde noch nervöser. Was würde sie hier erwarten? Die Neugier überwand die Angst, und sie spähte hinein in den Durchgang, um zu sehen, was so geheim war, dass es hinter dieser Wand versteckt werden musste. Im ersten Moment nicht viel. In der kleinen Kammer hinter der beweglichen Wand war ein kleiner antiker Holztisch zu sehen mit einem Buch und einem goldenen Kelch darauf. Sie drehte sich um und sah De La Cruz mit fragendem Blick an.
»Das, meine liebe Stephanie, ist der Heilige Gral, von dem du im Buch ohne Namen gelesen hast«, sagte er. »Oder, wenn du den Namen vorziehst, der Becher Christi. Er war die ganze Zeit über hier, unter unseren Nasen versteckt im Keller des Polizeihauptquartiers.«
Stephanie wusste nicht so recht, wie sie auf diese bizarre Eröffnung reagieren sollte. Sie grinste nur. De La Cruz nimmt mich sicher auf den Arm , dachte sie.
»Das soll wohl ein Witz sein, wie?«, fragte sie, indem sie auf die Reaktion von Benson und Hunter hinter dem Captain achtete. Beide blickten todernst drein. »Das ist ganz bestimmt ein Witz.«
De La Cruz schüttelte den Kopf. »Siehst du das Buch dort auf dem Tisch?«, fragte er.
»Ja.«
»Wir glauben, dass Archibald Somers es geschrieben hat. Sieht aus wie ein Tagebuch oder eine Reihe von Notizen oder was. Es bestätigt vieles von dem, was du im Buch ohne Namen gelesen und uns erzählt hast.«
»Tatsächlich? Und warum musste ich dann dieses Buch lesen?« Sie war verwirrt. Und verärgert. Wenn sie schon so viel wussten, weil sie dieses andere Buch dort gelesen hatten, warum hatte sie dann das ganze verdammte Buch ohne Namen lesen müssen?
»Na ja, es sieht so aus, als hätte Somers seine eigene Version geschrieben. Es ist eine Art Tagebuch, verstehst du, in dem er all seine Missetaten schildert und gleichzeitig die Geschichte des Buches ohne Namen mit seinen eigenen Worten wiedergibt«, antwortete De La Cruz. »Als Untoter konnte er das echte Buch nicht anrühren.
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