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Das Buch Rubyn

Das Buch Rubyn

Titel: Das Buch Rubyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Stephens
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einem grinsenden Gesicht.
    Es war bitter kalt. Kate schlang die Arme um ihren Körper und schaute nach rechts, die prächtigen Alleen entlang, bis zu der weiten Fläche des Parks, der wintertot und weiß in der Ferne schimmerte. Dann schaute sie in die andere Richtung, über die wilde Ansammlung aus Straßen und Häusern, aus dem Downtown New York bestand. Hinter sich blickend, sah sie, dass die Kirche am Ufer eines breiten grauen Flusses stand, an dessen Rändern sich Eis gebildet hatte.
    Dann schaute sich Kate im Glockenturm um.
    Etwa fünfzehn Meter von ihr entfernt saß eine Frau an einem Schreibtisch und schrieb etwas. Sie schien ganz in ihre Tätigkeit versunken zu sein. Auf dem Tisch stapelten sich Papiere, die mit Steinen beschwert waren, damit der Wind sie nicht hinwegtragen konnte. Ihre Kanten und Ränder flatterten wie winzige Segel. Kälte oder Wind schienen der Frau nichts auszumachen. Sie schrieb unbeirrt weiter.
    Kate schätzte sie auf Anfang fünfzig. Ihre grauen Haare trug sie kurz wie ein Mann und sie hatte ein langärmeliges, hochgeschlossenes schwarzes Kleid an und um die Schultern einen schwarzen Schal gelegt. Ihrer Haltung nach zu urteilen war sie streng und unbeugsam. Kate konnte die rechte Hand nicht sehen, aber an der linken, mit der sie schrieb, steckten keine Ringe. Sie trug auch keine Halskette, keine Brosche und keinen Ohrschmuck. Kate hatte den Eindruck, einer ungeheuer willensstarken Frau gegenüberzustehen, deren inneres Feuer sie nicht nur hier oben wärmte und vor dem eisigen Wind schützte, sondern auch alles an ihr weggebrannt hatte, was nicht unbedingt nötig war.
    Kate fühlte, wie sich eine Last auf ihre Schultern legte. Der Junge hatte ihr einen schweren, langen Mantel umgehängt.
    »Dein Mantel taugt nicht viel. Der hier ist aus Bärenfell.«
    Der Mantel bestand aus einem dichten schwarzen Pelz und war sehr schwer und warm. Der Junge zog ihn nach vorne, sodass er um ihren Körper lag wie ein Umhang. Es kam Kate so vor, als ob er bewusst ihrem Blick auswich. Kate dachte an die Decke, die über ihren Füßen gelegen hatte, während sie schlief, und sie war sich sicher, dass er es gewesen war, der sie dorthin gelegt hatte.
    »Komm mit.«
    Er drehte sich um und ging quer durch den Glockenturm, wobei er das Loch in der Mitte weiträumig umlief. Kate folgte ihm. Der Saum des Bärenfellmantels schleifte über den Boden.
    Rafe blieb vor dem Schreibtisch stehen, und gemeinsam warteten sie darauf, dass die Frau Notiz von ihnen nahm. Schließlich legte sie den Stift beiseite und schaute auf.
    »So«, sagte sie. Ihre Stimme klang, als würden Steine übereinander schaben. »Du bist also das Mädchen, dem wir diese ganze Aufregung verdanken.«
    Sie stand auf und kam um den Schreibtisch herum. Sie war nicht besonders hoch gewachsen, aber obwohl sie Kate nur um fünf oder sechs Zentimeter überragte, hielt sie sich so aufrecht, dass sie viel größer wirkte. Sie hatte scharfe graue Augen, und ihr Gesicht war faltig und wettergegerbt, als ob sie den größten Teil ihres Lebens im Freien verbracht hätte. Kate dachte, sie würde an Deck eines Segelschiffs passen oder in die Prärie des amerikanischen Westens, fast so, als ob diese Frau die weite, offene Natur bräuchte, um Raum für ihren starken Willen zu haben. Die grauen Augen betrachteten Kate aufmerksam. Der Blick war nicht unfreundlich, aber es lag kein Mitgefühl und keine Sanftheit darin.
    »Wie lautet dein Name, Mädchen?«
    »Kate … Katherine.«
    »Ich bin Henrietta Burke.«
    Sie streckte ihre linke Hand aus, und erst dann erkannte Kate, dass die rechte Hand der Frau, die sie in den Falten des schwarzen Schals verborgen glaubte, fehlte. Der Arm endete am Ellbogen und der Ärmel war über dem Stumpf zusammengenäht. Kate hatte ihre eigene rechte Hand schon ausgestreckt, zog sie ungeschickt zurück und reichte der Frau ihre linke. Henrietta Burke schüttelte Kates Hand kurz und fest. Es war, als würde man einem Adler die Hand geben.
    »Du hast bemerkt, dass ich meine rechte Hand verloren habe. Vor zehn Jahren wurde ich von einem Haufen Narren und Idioten in St. Louis in die Enge getrieben. Sie beschuldigten mich der Hexerei. Womit sie natürlich recht hatten. Und aus irgendeinem Grund dachten sie, dass sie mir meine rechte Hand abschneiden müssten, um mich davon abzuhalten. Sie mussten schon bald darauf erfahren, wie sehr sie sich geirrt hatten. Es war mühsam, das Schreiben und die Ausübung der Magie mit der linken Hand zu

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