Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
hatte er sich eingeredet, war weit, und die Gelegenheit, auf die er wartete, würde sich früher oder später ergeben. Doch das war nicht der Fall gewesen, und mit jedem Tag, der ungenutzt verstrich, wuchs der Druck, der auf dem Mönch lastete.
Was, wenn ihre Wege sich trennten, ohne dass er einen Blick auf das Kleinod geworfen und eine Möglichkeit erhalten hatte, das Geheimnis zu ergründen?
Berengars anfängliche Gelassenheit hatte sich in Unruhe verkehrt, die sich in den letzten Tagen in schiere Verzweiflung gesteigert hatte, namentlich nach dem Gespräch, das er belauscht hatte – nicht so absichtlich, dass es eine Sünde gewesen wäre, aber auch nicht so zufällig, wie er vorgegeben hatte.
Die Jüdin hatte gesagt, dass sie ihrem Vater ein Versprechen gegeben und einen Auftrag zu erfüllen hatte. Gesetzt den Fall, seine Augen hatten ihn an jenem Tag nicht getäuscht, so hätte Berengar seine unsterbliche Seele darauf verwettet, dass dieser Auftrag mit dem geheimnisvollen Gegenstand zusammenhing, den sie Tag und Nacht bei sich trug.
Der Mönch hatte alle Möglichkeiten durchgespielt, die sich ihm boten, hatte Szenarien ent- und wieder verworfen, aber ihm war klar gewesen, dass etwas geschehen musste, ehe sie die Stadt am Orontes erreichten. Die Schwärmerei des jungen Angelsachsen für das jüdische Mädchen hatte schließlich die ersehnte Lösung gebracht, wenn auch anders als zunächst vorgesehen. Berengars Plan war es gewesen, Conwulf gegen das Mädchen aufzubringen und ihn auf diese Weise dazu zu b ewegen, ihr das Geheimnis zu entlocken. Dass das genaue Gegenteil geschehen war, hatte der Mönch zwar nicht voraussehen können – was verstand er schon von derlei Dingen? –, aber es diente seinen Zwecken nicht weniger trefflich.
Die Gelegenheit, auf die er seit Wochen gewartet hatte, kam, als die beiden Liebenden ihren Platz am Felsen verließen und in jugendlicher Tollheit zum Wasser eilten, um ihr sündhaftes Treiben dort fortzusetzen. Ihre Kleider jedoch blieben zurück – und Berengar handelte.
Rasch setzte der Mönch aus dem Strauchwerk, das den Strand säumte, und eilte zu dem Felsen. Ein Blick zu den beiden, die sich in wollüstiger Umarmung am Ufer wälzten, zeigte ihm, dass sie mit anderen Dingen beschäftigt waren. Dennoch beeilte er sich.
Atemlos durchwühlte er ihre herrenlos im Sand liegenden Kleider. Im Schatten, den der Felsen gegen das Mondlicht warf, konnte er kaum etwas erkennen, aber dann fassten seine Hände einen festen, länglichen Gegenstand und zogen ihn hervor.
Es war ein etwa ellenlanger Köcher aus gegerbtem Leder. Im fahlen Licht des Mondes konnte Berengar erkennen, dass sein flüchtiger Eindruck ihn nicht getäuscht und er es an jenem Tag tatsächlich für einen kurzen Augenblick gesehen hatte.
Signum Salomonis.
Das Siegel Salomons.
----
18.
----
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als Chaya das Lager verließ, noch halb trunken von der Wärme der zurückliegenden Nacht, halb ernüchtert von der Kälte des Morgens.
In aller Eile packte sie ihre Sachen und schlich aus ihrem Zelt, nicht ohne Conn, der an der noch schwelenden Glut des Feuers schlief, einen letzten, liebevollen Blick zuzuwerfen. Dann wandte sie sich ab und huschte zu den Tieren.
Sie besänftigte ihren Maulesel, indem sie ihm eine Rübe zu fressen gab. Während das Tier kaute, sattelte sie es und führte es so leise wie möglich vom Lager weg. Noch ein letzter Blick über die Schulter, und sie wähnte sich frei – ein Irrtum, wie sich schon wenige Schritte später herausstellte.
»W ohin des Wegs?«
Chaya erschrak, als plötzlich eine dunkle Gestalt zwischen den Bäumen hervortrat und ihr den Weg versperrte. Beinahe hätte sie laut geschrien, aber dann erkannte sie, dass es kein anderer als Berengar war.
»Ihr seid es«, seufzte sie erleichtert.
»Ich bin es«, bestätigte der Mönch. Im Zwielicht der Dämmerung waren seine Züge kaum zu sehen, aber Chaya glaubte zu erkennen, dass sie ungewohnt harsch und grimmig waren. »Ist es erlaubt zu fragen, was Ihr hier tut?«
»Ich verlasse das Lager«, erwiderte Chaya leise.
» Ohne Abschied zu nehmen? Ohne Euren Dank zu bekunden für die Hilfe, die man Euch zuteil werden ließ?«
Chaya nickte. »Ich weiß, wie undankbar Euch das erscheinen muss. Aber ich musste in letzter Zeit so häufig Abschied nehmen, dass ich es nicht noch einmal ertragen würde. Versteht Ihr das?«
»V ielleicht«, gestand der Mönch zu, dessen Züge sich daraufhin ein wenig
Weitere Kostenlose Bücher