Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
nahm es entgegen, Tränen der Erleichterung und der Freude in den Augen. Sanft legte sie das Kind an ihre Brust. Sie fühlte sich innerlich leer und doch so erfüllt wie nie zuvor, hatte das Gefühl, eins zu sein mit der Schöpfung, zu der sie ihren Teil nun beigetragen hatte.
Mit Liebe und Fürsorge betrachtete sie den Jungen: seine zierliche, zerbrechlich wirkende Gestalt, die winzigen Finger, das kleine Gesicht und die blauen Augen, die zaghaft in die Welt blinzelten.
Blaue Augen.
»Caleb«, hauchte sie leise. »W illst du mir eines versprechen?«
» W as immer du verlangst.« Ihr Cousin, der erschöpft am Fuß der Treppe kauerte, nickte.
Chaya schluckte hart. »V errate niemandem, wer der Vater des Kindes ist. Willst du das für mich tun?«
Caleb zögerte keinen Augenblick. »Ich werde schweigen. Ich werde dich zur Frau nehmen und das Kind aufziehen, als wäre es mein eigen Fleisch und Blut.«
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1.
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Antiochia
5. Juni 1098
»Nun?«
Baldric warf dem soeben eingetretenen Bertrand einen fragenden Blick zu. Sein Auge war dunkel gerändert, seine Stimme rau. Bertrand löste den Kinnriemen seines Helmes, nahm ihn ab und setzte sich an die Feuerstelle, die die Mitte des Raumes einnahm. Dabei seufzte er und schüttelte langsam den Kopf.
»Nichts«, sagte er leise. »Keine Spur von dem Jungen. Ebenso wenig wie von Remy.«
Baldric erwiderte nichts. Seine Fäuste jedoch ballten sich so sehr, dass das Weiße an den Knöcheln vortrat. Unruhig ging er in der Kammer auf und ab, die seinen Kameraden und ihm als Wohnstatt diente, seit Antiochia gefallen war. Den in Massen eingedrungenen Kreuzfahrern hatten die Verteidiger der Stadt nichts mehr entgegenzusetzen gehabt. Nachdem sie anfänglich noch Widerstand leisteten, hatten sie schließlich die Flucht ergriffen und sich in der Zitadelle verschanzt, die sich nach wie vor behauptete; der Rest der Stadt jedoch befand sich in den Händen der Streiter Christi, auch der Norden, wo die Normannen unter Herzog Robert gefochten und schließlich auch Quartier bezogen hatten.
Was mit den einstigen Besitzern des Hauses geschehen war, das er und die Seinen nun bewohnten, konnte Baldric nur v ermuten. Vielleicht waren sie beim Kampf um die Stadt gefallen, vielleicht waren sie geflüchtet. Oder sie waren einfach nur verschwunden, wie so viele in diesen Tagen.
»Ich bin in der Südstadt gewesen«, berichtete Bertrand niedergeschlagen. »Ich habe aber nichts gefunden. Nicht einen einzigen Hinweis.«
»Aber Conn ist dort gewesen. Ebenso wie Remy. Jemand muss die beiden gesehen haben.«
»Das hat man – allerdings nur zu Beginn des Kampfes. Ich habe mit jemandem gesprochen, der ebenfalls zu Bohemunds Abteilung gehörte. Demnach waren Conn und Remy bei den Ersten, die den Turm bestiegen, und sie waren auch dabei, als ein Tor geöffnet wurde, um weitere Kämpfer einzulassen. Danach jedoch verliert sich ihre Spur.«
Baldric war stehen geblieben, stützte sich an einen hölzernen Pfeiler, der die niedrige Decke trug. »Dieser junge Narr. Was hat er nur getan?«
»Ich denke, wir wissen, was geschehen ist«, sagte Bertrand leise.
»Konnte er nicht wenigstens diesmal auf mich hören?« Baldric holte tief Luft. »Hast du auch im jüdischen Viertel gesucht?«
»Natürlich, aber ich habe dort niemanden angetroffen. Die Häuser sind verlassen, die Menschen haben sich versteckt aus Furcht.«
Baldric nickte. »W er möchte es ihnen verdenken?«, fragte er in Erinnerung an all die entsetzten Schreie, die in der Nacht der Eroberung die Gassen erfüllt hatten und die ihm noch immer in den Ohren lagen. Bertrand schickte ihm einen bedauernden Blick. Die Unbekümmertheit des Normannen war aus seinen Zügen verschwunden und der Sorge um die Freunde gewichen – und ehrlichem Mitgefühl für Baldric. »Mein Freund, wenn Conn und Remy tatsächlich nach dem Mädchen gesucht haben und in jener Nacht im Judenviertel waren, dann könnte es leicht sein, dass …«
» Nein«, fiel Baldric ihm barsch ins Wort. »Conn ist noch am Leben. Wir müssen weiter nach ihm suchen.«
»Aber wo? In dieser Stadt nach einer einzelnen Person zu suchen ist so, als suchte man nach einer Nadel im Heuhaufen. Nicht nur, dass die Gassen so weit verzweigt und verwinkelt sind wie die Gänge in einem Maulwurfsbau, die meisten Viertel sind noch immer übersät von Erschlagenen, die karrenweise zu den Friedhöfen geschafft werden. Die meisten von ihnen sind nackt, weil sie ihrer Rüstung und ihrer Kleider beraubt wurden,
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