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Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman

Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman

Titel: Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Chaya.

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27.
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    Chaya schrie.
    Ihre Schreie hallten von der niedrigen Gewölbedecke wider und kamen als schauriges Echo zu ihr zurück. Dennoch konnte sie nicht anders, als ihren Schmerz, ihre Trauer und ihre Furcht laut hinauszubrüllen.
    Furcht, weil sie um das Leben ihres Kindes bangte.
    Trauer, weil sie nicht gewollt hatte, dass es an solch einem Ort und an einem Morgen wie diesem das Licht der Welt erblickte.
    Hals über Kopf waren Caleb und sie in die unterirdischen Gewölbe geflüchtet, die sich unter der Südstadt erstreckten und in alter Zeit als Vorratslager gedient hatten. Hier, inmitten ebenso feuchter wie dunkler Keller, in denen sich Ratten und Schlangen ein Stelldichein gaben, war Chaya niedergesunken, auf brüchigen Stufen, die jemand vor langer Zeit in den Felsen gehauen hatte. Dass die Zeit ihrer Niederkunft noch längst nicht gekommen war, dass an der Oberfläche ein mörderischer Krieg tobte und die Welt womöglich zum Untergang verdammt war – all das spielte in diesem Augenblick keine Rolle mehr.
    Der Geburtsprozess war in Gang gesetzt und ließ sich nicht mehr aufhalten, so sehr Chaya es sich auch wünschte. Der Sog des Lebens hatte sie und ihr Kind erfasst und zwang sie dazu, d as zu tun, was die Natur ihr diktierte – zum Entsetzen Calebs, dessen Züge von Schrecken gezeichnet waren.
    Die Schöße ihres Kleides gerafft, lag sie rücklings auf der Treppe, die Beine weit gespreizt. Sich ihrem Cousin so zu zeigen war eigentlich undenkbar, aber das Verlangen nach Hilfe war größer als alle Scham. Darüber, wie man ein Kind zur Welt brachte, wusste Caleb zwar nur wenig, aber immerhin war sie in dieser Stunde nicht allein – auch wenn sie sich in diesem Augenblick mehr als alles andere ihre Mutter an die Seite wünschte, damit sie ihr beistand. Doch ihre Mutter war nicht hier, und so musste Chaya sich mit dem begnügen, was sie ihr zu Lebzeiten über den weiblichen Körper und den Geburtsvorgang beigebracht hatte – und mit ihrem Cousin, der, obwohl einer ausgewachsenen Panik nahe, sein Bestes gab.
    »Gut so, Chaya«, sprach er auf sie ein. »Es kann nicht mehr lange dauern. Nur noch ein wenig Geduld.«
    Schweiß stand Chaya auf der Stirn, ihr Atem ging so heftig, dass ihr schwindlig wurde. Sie wartete auf die nächste Wehe, während sie sich zugleich davor fürchtete. Aber ihre eiserne Disziplin, die sie von einem Ende der Welt zum anderen geführt und sie auch in den dunkelsten Stunden nie den Mut hatte verlieren lassen, hielt sie weiter aufrecht.
    Die Wehe kam – und erneut presste Chaya mit aller Kraft, um dem Kind, das in ihr herangereift war, den Ausgang ins Leben zu ermöglichen. Sie spürte, dass Blut austrat, und Caleb schrie auf. »Der Kopf ist zu sehen, Chaya! Nur noch einmal.«
    Der Schmerz ließ ein wenig nach, und Chaya versuchte, sich für einen Moment zu entspannen, um noch einmal ihre ganze Kraft zusammenzunehmen.
    Ihr Atem stockte, ihr Pulsschlag raste, und zusammen mit den schwarzen Flecken, die vor ihren Augen auf und ab tanzten, sah sie wirre Bilder von Menschen und Ereignissen, die ihr begegnet und widerfahren waren: Conwulf, ihr Vater, Mordechai und ihr Onkel Ezra, selbst das Buch von Ascalon – sie alle tauchten für einen kurzen Augenblick vor ihr auf, aber auf e ine fast erschreckende Weise waren sie ihr gleichgültig. Alles, was zählte, war das Kind in ihrem Körper, dem sie das Leben schenken musste.
    Jetzt!
    Chaya presste und spürte Widerstand, hatte das Gefühl, ihre untere Leibeshälfte würde bersten, dennoch gab sie nicht nach. Wiederum entfuhr ihr ein lauter Schrei – in den sich im nächsten Moment das helle Kreischen eines neugeborenen Kindes mischte.
    Gleichzeitig ließ der Schmerz nach, und Chaya hatte das Gefühl, dass ihr irdisches Dasein in diesem Augenblick seine Erfüllung fand. Ihr Körper entspannte sich, und sie sank in ein wärmendes Bett aus zarten, wohltuenden Empfindungen – wobei sie nicht zu sagen vermochte, ob es die Erleichterung war, die sie solche Gefühle hegen ließ, oder der Blutverlust.
    »Ist es …?« Sie richtete sich ein wenig auf und versuchte, einen Blick auf das schreiende, blutige Bündel zu erhaschen, das Caleb im Arm hielt, während er sein schartiges Schwert dazu benutzte, die Nabelschnur zu durchschneiden.
    »Scheint alles in Ordnung zu sein«, stieß er lachend hervor, offenkundig nicht weniger erleichtert als Chaya selbst. »Es ist ein Junge, Chaya. Ein Junge.«
    Er reichte ihr das winzige Wesen, und sie

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