Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
eines hünenhaften Normannen zu erinnern glaubten. Und warum war der Bolzen, den der heilkundige Mönch aus seiner Schulter gezogen hatte, nicht türkischen Ursprungs, sondern stammte eindeutig von einer fränkischen Armbrust?
Mit zum Gebet gefalteten Händen kauerte Baldric an Conns kargem Lager. So erleichtert er darüber war, dass man ihn gefunden hatte, so sehr bangte er um sein Leben – und so sehr entsetzte ihn, was er aus dem fiebrigen Munde seines Adoptivsohns gehört hatte.
» Und – wenn es mehr als ein Albtraum war?«, verlieh Bertrand dem hässlichen Gedanken Ausdruck, den auch Baldric hegte.
»W as wollt ihr damit sagen?«, meldete sich Berengar zu Wort – die vielsagenden Blicke der beiden anderen waren Antwort genug. »Ihr meint, er hätte das alles wirklich erlebt?«
»Guillaume de Rein hat das Mädchen getötet, das Conwulf liebte«, erwiderte Baldric. »In der Nacht, in der ich ihn fand, war er in die Burg von London eingedrungen, um de Rein zu stellen – was, wenn er dabei unfreiwillig Zeuge eines Komplotts geworden ist? Eines Komplotts gegen den Herzog der Normandie.«
»Dennoch«, wandte Berengar ein. »Scheint Euch das nicht allzu abenteuerlich und dem Fieberwahn entsprungen?«
»Dem Fieberwahn eines Grafen vielleicht, aber nicht dem eines einfachen Burschen. Außerdem ergibt es auf erschreckende Weise Sinn. Es ist bekannt, dass König William und der Herzog Feinde sind, allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz. Die ungleiche Liebe des Vaters haben sie einander nie vergeben.«
»Ihr glaubt also, Conwulf hat all das wirklich erlebt?«
»Allerdings.« Baldric nickte.
»Unmöglich«, war Bertrand überzeugt. »Conn hätte es uns gesagt. Wir sind schließlich seine Freunde!«
»Und hätten wir ihm geglaubt?«, stellte Baldric die entscheidende Frage. »Hast nicht du selbst ihn immer wieder mit der Nase auf seine angelsächsische Herkunft gestoßen?«
»Aber doch nur, um ihn zu necken«, verteidigte sich Bertrand.
»Dennoch haben wir ihm wohl nicht das Gefühl gegeben, uns so weit vertrauen zu können. Also hat er sein Wissen für sich behalten, um sich zu schützen.«
»W omöglich wollte er auch Euch damit schützen«, wandte Berengar ein. »W enn es sich tatsächlich so zugetragen hat, wie Ihr vermutet, dürfte das Leben eines Mitwissers nicht allzu v iel wert sein. Vielleicht wollte Conwulf Euch dieser Gefahr nicht aussetzen.«
Baldric schürzte die Lippen – dieser Gedanke war ihm noch nicht gekommen, aber nach allem, was er über Conn wusste, ließ er sich nicht von der Hand weisen. Vom ersten Augenblick an hatte der junge Angelsachse Baldric tief beeindruckt. Er hatte seinen eigenen Kopf und neigte zum Starrsinn, aber in seiner Brust schlug ein mutiges Herz, und an Treue und Ritterlichkeit übertraf er manchen Normannen.
»Schön und gut«, meinte Bertrand, »nehmen wir also an, dass Conn die Wahrheit gesagt und all das sich wirklich so ereignet hat – was sollen wir tun? Zu Roberts Edelleuten gehen und ihnen davon berichten?«
»Das wäre nicht sehr klug«, wandte Berengar ein. »W enn Conn der einzige Zeuge des Mordkomplotts ist und es außer seiner Aussage keine Beweise gibt, würde de Rein alles abstreiten, und es wäre nichts gewonnen.«
»Ihr habt recht«, stimmte Baldric zu. »Das Wort eines normannischen Barons gilt ungleich mehr im Fürstenrat als das eines angelsächsischen Soldaten.«
»Und wenn de Rein erführe, dass du mit der Sache zu tun hast, würde er deine Vergangenheit ins Feld führen, um dich vor dem Herzog unglaubwürdig zu machen«, fügte Bertrand hinzu. »W as also werden wir unternehmen?«
Baldric blickte auf Conn herab, der schon wieder dabei war, den Kopf hin und her zu werfen, von fiebriger Unrast getrieben.
»Nichts. Conn muss leben, sonst hat Guillaume de Rein ohnehin gewonnen.«
»Meine geschätzten Cluniazenserbrüder unternehmen alles, was ihnen möglich ist«, versicherte Berengar.
»Nun«, meinte Baldric mit Blick auf Conns leichenblasse Miene, »vielleicht ist das ja nicht genug.«
»W as meint Ihr?«
»Die Jüdin hat Conn schon einmal geholfen, damals in Genua, als sich sein wunder Arm entzündet hatte.«
» Und ihren Kenntnissen wollt Ihr Euren Ziehsohn überantworten, statt dem jahrhundertealten Wissen der Diener Gottes zu vertrauen?« Pures Unverständnis sprach aus Berengars Blick.
»Eure Brüder haben es bislang nicht geschafft, Conn wieder genesen zu lassen, und er wird mit jeder Stunde schwächer.«
»Und deshalb
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