Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
nicht nur ihn zur Unterredung bestellt, sondern auch den Baron.
Renald de Rein trug noch immer die dunkelgrüne, bortenverzierte Tunika. Die Arme hatte er ablehnend vor der Brust verschränkt, die Mundwinkel missbilligend herabgezogen. »Da bist du ja.« Er musterte Guillaume vom Scheitel bis zur Sohle. »W o hast du dich nur wieder herumgetrieben? Du stinkst wie ein ganzer Pferdestall!«
»Gewiss, Vater«, erwiderte Guillaume kaltschnäuzig. »Habt nicht Ihr selbst mir befohlen, nach den Pferden und unseren Leuten zu sehen und Sorge zu tragen, dass es ihnen gut geht?«
»Und das hast du getan?«
»Gewiss«, antwortete Guillaume, ohne mit der Wimper zu zucken. »Zweifelt Ihr etwa daran?«
Renald kam nicht dazu, etwas zu erwidern, denn ein klein w üchsiger Mann mit einem Frettchengesicht, der einen gelben Überwurf trug, kam die gewendelten Stufen herab und verbeugte sich vor ihnen.
»Die Herren de Rein?«, erkundigte er sich beflissen, von einem zum anderen schauend.
»So ist es.«
»So folgt mir bitte.«
Mit gravitätischer Miene wandte das Frettchengesicht sich um und erklomm die Stufen mit einer solchen Schnelligkeit, dass zumindest der Baron Mühe hatte, ihm auf den Fersen zu bleiben. Guillaume war klug genug, seinem Vater mit einigen Schritten respektvollen Abstands zu folgen. Der Baron hatte ihn schon aus weit geringeren Anlässen gezüchtigt, und er verspürte kein Verlangen danach, erneut vor aller Augen erniedrigt zu werden.
Vorbei an bewaffneten Wachen, die das obere Ende der Treppe besetzten, wurden die Besucher in den Thronsaal geführt, der sich genau über der unteren Halle befand. Mächtige Balken und Säulen aus Eichenholz stützten eine hohe Decke, und die ebenso schmalen wie hohen Fenster, die die steinernen Wände durchbrachen, verliehen dem Saal etwas von einer Kathedrale. Dazu trugen auch die reich bestickten Teppiche bei, die zwischen den Fenstern hingen und von den ruhmreichen Taten des Eroberers kündeten, sowie die zahllosen Kerzen, die auf eisernen Ständern staken und den vorderen Teil der Halle beleuchteten. Der rückwärtige Teil, in dem nur ein Kaminfeuer flackernden Schein verbreitete, lag in schummrigem Halbdunkel. Erst als die beiden Besucher dem Diener durch die Halle folgten, nahmen sie die beiden Gestalten wahr, die sie am anderen Ende erwarteten. Die eine stand, die zweite saß auf dem Thron von England.
Es war das erste Mal, dass Guillaume de Reine seinen Monarchen und obersten Lehnsherren erblickte, und es kostete ihn einige Anstrengung, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Denn der Mann, der auf dem aus Eichenholz gefer t igten, mit reichen Schnitzereien versehenen Sitz thronte, entsprach nicht den Vorstellungen, die er sich von seinem König gemacht hatte.
William von England war ein kleinwüchsiger und dabei leicht untersetzter Mann, unter dessen Arm- und Beinkleidern aus eng anliegendem Samt sich jedoch stählern anmutende Muskeln abzeichneten. Guillaume hatte gehört, dass der König sich, der Tradition seines Vaters folgend, vor allem als Krieger sah und es liebte, zur Jagd auszureiten und sich körperlich zu ertüchtigen. Die bunten Farben seiner Kleidung, die in schreiendem Rot und Gelb um die Gunst des Betrachters wetteiferten und dem Herrscher von England etwas Geckenhaftes, fast Weibisches verliehen, relativierten diesen Eindruck allerdings wieder. Das Alter des Königs war unmöglich zu schätzen. Als Guillaume ihm jedoch ins Antlitz blickte, wurde ihm jäh klar, wie dieser zu seinem Beinamen Rufus – der »Rote« – gekommen war. Denn das lange blonde Haar, das in der Mitte gescheitelt war und bis auf die Schultern herabfiel, umarmte ein fleckiges, puterrotes Gesicht, aus dem den Besuchern zwei Augen unterschiedlicher Farbe unverwandt entgegenstarrten.
Davon irritiert, richtete Guillaume seinen eigenen Blick zu Boden. Den anderen Mann, der am Fuß des mit Fellen beschlagenen Thronpodests stand, nahm er deshalb nur flüchtig wahr, aber er konnte erkennen, dass sowohl dessen schlanke Gestalt als auch seine dunkle, an eine Mönchskutte gemahnende Robe in krassem Gegensatz zur grellen Erscheinung des Königs standen.
»Baron Renald de Rein und sein Sohn Guillaume«, stellte der Hofbeamte die beiden Neuankömmlinge vor, worauf beide niederknieten. William Rufus schien Gefallen daran zu finden, seinen irritierenden Blick eine endlos scheinende Weile lang auf den Besuchern ruhen zu lassen. Erst dann gestattete er ihnen, sich wieder zu
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