Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Mönche und schmierte ihn mit einer Salbe ein, die derart stank, dass keiner ihm mehr zu nahe kommen wollte. Schon am nächsten Tag stand Aelvin erneut an Deck, um die Übungen fortzusetzen. Libuse sprach es nicht aus, aber er sah ihr an, dass sie beeindruckt war.
Am selben Nachmittag verkündete Corax, Libuse habe nun genug von ihm gelernt; alles weitere sei eine Frage der Erfahrung. Ob Corax damit sein Augenleiden überspielen wollte oder ob es ihm wirklich ernst damit war, spielte keine Rolle. Libuse trug die Nasenspitze für den Rest des Tages ein wenig höher als sonst, legte sich dafür aber bei ihrem eigenen Schwertunterricht mit Aelvin noch stärker ins Zeug.
Beim Aufstehen am Morgen darauf tat ihm erneut alles weh, doch diesmal gab er vor, alles sei in bester Ordnung. Mit noch größerer Verbissenheit stellte er sich seiner neuen Aufgabe. Ein Meister würde nie aus ihm werden, das erkannte er recht schnell, vielleicht nicht einmal ein passabler Fechter – zumindest aber wollte er in der Lage sein, es mit dahergelaufenen Strolchen aufzunehmen, von denen sie gewiss noch dem einen oder anderen begegnen mochten.
Favola saß die meiste Zeit über dabei, badete die unverhüllte Lumina im Tageslicht und beobachtete Lehrerin und Schüler, während sie mit den Klingen aufeinander einhieben und sich umkreisten wie bei einem bizarren Tanz. Libuse lachte viel während dieser Stunden, mehr als in all den Tagen zuvor, und Aelvin nahm gern in Kauf, dass sein Ungeschick der Grund dafür war, wenn sie nur endlich ein wenig aus sich herausging und vergaß, was die Wolfskrieger ihr angetan hatten. Noch vor wenigen Wochen hätte er jeden für verrückt erklärt, der ihm prophezeit hätte, dass er sich irgendwann einmal mit dem rätselhaften Mädchen aus den Wäldern auf einem Donauschiff im Schwertkampf messen würde. Es war erstaunlich und auch ein wenig beängstigend, wie rasch sich die Dinge verändert hatten. Sein Leben war aus den Fugen geraten, sein ganzes Dasein auf den Kopf gestellt – und er genoss es mit jedem Tag mehr.
Albertus hielt sich mit Schelte für den jungen Novizen zurück. Freilich waren die Übungen mit Libuse nichts, das einem Geistlichen gut zu Gesicht stand. Doch der Magister sah darüber hinweg, so als sei ihm bereits lange vor Aelvin bewusst geworden, dass der Junge für die Kirche verloren war. Ein Klosterschüler würde wohl nicht mehr aus ihm werden, auch wenn sie noch immer so taten, als habe sich daran nichts geändert. Aelvin ahnte es nur, doch für Albertus schien es unabänderlich festzustehen: Aelvins Tage als Ordensbruder waren gezählt.
Erst nach einer Weile kam Aelvin der Gedanke, dass die Gewissheit des Magisters noch einen anderen Grund haben mochte: Favolas Prophezeiung. Die Vision von Aelvins Ende.
Er parierte Libuses Schläge mit neuer Beharrlichkeit, und zum ersten Mal brachte er sie ernsthaft in Bedrängnis. Dann aber erwischte sie ihn mit der flachen Klinge an der Stirn, e r v erlor die Waffe aus der Hand und musste sich geschlagen geben.
Am Abend führte er Favola allein hinaus an Deck.
» Sag mir, was genau du gesehen hast «, bat er sie. » Ich muss es jetzt wissen. «
Sie zögerte, doch dann nickte sie und blickte hinaus über die schneebedeckte Ebene, die sich von einem Horizont zum anderen erstreckte. Mondschein überzog Favolas Gesicht mit silbernem Eislicht.
» Ich liege im Sand «, sagte sie leise. » Ich bewege mich nicht. Du kniest neben mir, beugst dich über mich und bewegst den Mund – vielleicht rufst du meinen Namen, aber ich kann dich nicht hören, jedenfalls nicht in diesem … Traum. « Ihr Lächeln schien um Verzeihung zu bitten. » In der Todsicht gibt es keine Geräusche, weißt du? «
Er nickte ungeduldig. » Was passiert dann? «
» Jemand drängt sich zwischen uns. Er will mir wehtun, glaube ich. Du kämpfst mit ihm. Mit bloßen Händen kämpft ihr. Eine Gestalt in einem langen Gewand, aber ich sehe sie nur von hinten, kein Gesicht. Ihr ringt miteinander, aber der andere ist stärker … oder schneller … und dann – «
Er bemerkte, dass er beide Hände zu Fäusten geballt hatte. Seine Fingernägel gruben sich schmerzhaft in die Handballen.
» Dann tötet er mich? «
Favola nickte. » Ja. Er stößt dich zu Boden und würgt dich mit seinen Händen und – « Sie presste die Hände vor ihrem Gesicht aufeinander und rieb sich gedankenverloren den Nasenrücken. » Dann war es vorbei. «
» Das war alles? « Er zuckte zusammen, als ihm
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