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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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bewusst wurde, dass sie seine Worte falsch verstehen könnte. » Ich meine, du hast nicht gesehen, was weiter passiert? «
    » Nein. «
    » Aber dann … dann kannst du ja gar nicht sicher sein, ob ich wirklich tot bin. «
    » Aelvin? «
    » Hmm? «
    » Warum nenne ich es wohl Tod sicht? «
    » Weil … « Himmel, er kam sich so dumm vor. » Ich wüsste trotzdem gern, wer diese Gestalt war. Und … na ja, und was danach aus dir wird. «
    Als sie ihm in der Herberge erzählt hatte, dass er ihr einmal das Leben retten würde, da hatte er sich das Ganze irgendwie … heroischer vorgestellt. Vor allem aber sehr viel eindeutiger. So, wie sie es ihm jetzt geschildert hatte, mochte sein Mörder Favola zu guter Letzt doch noch töten.
    » Ich bin nicht wichtig «, flüsterte sie in den eisigen Wind. » In Wahrheit mache ich mir über etwas ganz anderes Gedanken. «
    » Was meinst du? «
    » Die Lumina «, sagte sie heiser. » In der Vision konnte ich sie nirgends sehen. «
    *
    Am Dreikönigstag des Jahres 1258, mehr als zwei Wochen nach ihrem Aufbruch aus Regensburg, passierten sie die Häuser und Türme Beograds als zackige Silhouette jenseits einer Wand aus Schneeflocken. Ihre Flussfahrt nähere sich nun dem Ende, verkündete Albertus, und sie alle überkam dabei Wehmut und auch die Furcht vor den neuen Gefahren, die auf dem weiteren Landweg vor ihnen lagen.
    Die Fahrt an Bord der Flusskirche war nach den Strapazen ihrer Schlittenfahrt auf dem Rhein und der Wanderung über die Berge erholsam gewesen, trotz der eisigen Kälte, die sie tagein, tagaus begleitet hatte. Immer wieder waren sie von wildem Schneetreiben überrascht worden, das von Osten kommend aus der Puszta über den Fluss fegte, und an einigen Tagen war es nahezu unmöglich gewesen, einen Fuß an Deck zu setzen. Den weiteren Weg jedoch aus eigener Kraft zu be wältigen, statt sich auf die bequeme Strömung des Flusses zu verlassen, war keine angenehme Aussicht, zumal das Wetter unberechenbar und die Eiswinde beißend blieben.
    Wie es schien, hatte sich sogar das Land gegen sie verschworen. Während das Gelände im Norden flach blieb, drängte von Süden her dicht bewaldetes Gebirge bis ans Ufer des Stroms. Es hob ihre Stimmung keineswegs, dass Sebastianus sie vor den berüchtigten Räuberbanden dieser Wälder warnte.
    » König Stefan, der Herrscher Serbiens, hat oft versprochen, ihrem Treiben ein Ende zu bereiten «, erklärte der Priester , » aber man hört nach wie vor von ermordeten Pilgern und geplünderten Händlerzügen. Gebt also Acht, welchen Weg ihr einschlagt und wem ihr euer Vertrauen schenkt. «
    Mit solch grimmen Worten verabschiedet, umarmten sie Sebastianus ein letztes Mal, wünschten auch den Männern seiner Mannschaft Lebewohl und gingen unterhalb der Festung Semlin an Land, dort wo der Fluss Morava sich von Süden her durch die Berge heranschlängelte und in die Donau mündete. Ein letztes Mal winkten sie ihren Wohltätern hinter der Reling der schwimmenden Kirche zu und nahmen Abschied von dem Wasserlauf, der sie so treulich all die Tage über getragen hatte; fast war es, als ließen sie ein braves Reittier zurück.
    Die Anlegestelle war mit einem missmutigen Zöllner und drei Soldaten bemannt, die schon von weitem erkannt hatten, dass bei den Pilgern nichts zu holen war. Ohne echtes Interesse fragten sie nach dem Ziel der Reisenden, wünschten ihnen Glück auf dem Weg und verkrochen sich rasch wieder in die Kaminwärme ihres Holzhauses.
    Der Rest des Tages verging mit Vorbereitungen. Den Bauern in den Hütten am Fuß der Festung handelten sie zwei Maultiere ab. Sie verbrachten die Nacht in einer Herberge im Tal, aßen sich am Morgen ein letztes Mal satt, stockten ihre Vorräte widerstrebend mit Hirse, Öl und Nüssen auf und mach ten sich auf den Weg. Der Himmel war klar und blau und verhieß keinen neuen Schnee, als sie entlang der gewundenen Morava nach Süden wanderten, auf dem vereisten Pflaster einer uralten Römerstraße.
    *
    Die Hänge zu beiden Seiten der Morava waren steil und mit dichtem Tann bewachsen. Ehrfurcht gebietend erhoben sich die Berge in den Himmel, schlummernd unter einem Mantel aus Stille. Dann und wann wurden die Wälder lichter, hier bestimmten verwobene Kronen blattloser Laubbäume das Bild. Doch die meiste Zeit wanderten die Gefährten entlang turmhoher Mauern aus starr gefrorenen Nadelbäumen. Die Welt verlor ihre Farben, das Weiß des Schnees und das Schwarz tiefer Schatten bedrängte sie von allen Seiten.

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