Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Sonnenaufgang erwachte, fühlte er sich weder ausgeschlafen noch erholt. Dafür jedoch verspürte er einen Anflug hämischer Genugtuung, als Libuse klagte, ihr Hinterteil täte vom Reiten so weh, als habe man sie den ganzen Tag mit Tritten vor sich her getrieben.
Favola konnte es nicht viel besser gehen, und obgleich sie sich mit keinem Wort beschwerte, wirkte sie erleichtert, als Dragutin meinte, auf den Galerien müssten sie alle von den Pferden steigen, anders sei es zu gefährlich für Reiter und Tiere. Mithilfe seines Knappen wechselte er in leichteres Rüstzeug, das es ihm ermöglichte, einigermaßen bequem zu Fuß zu gehen; die übrigen Teile wurden auf den Pferden verstaut.
Bald löste sich die Straße vom Flussufer, führte steil bergauf durch einen dichten Buchenwald und ging schließlich in die schmale Felsengalerie über, vor der Dragutin sie gewarnt hatte. Sie befanden sich nun gute zehn Mannslängen über dem Strom.
Die Galerie ähnelte dem Längsschnitt eines Tunnels, der von den Römern entlang der Bergwand ins Gestein gegraben worden war. Zur Linken war sie offen, dort gähnten der Abgrund und das verengte Flussbett der Morava. Es gab kein Geländer. Auf dem Weg konnten nur mit Mühe zwei Wanderer Seite an Seite gehen. Die Gefährten zogen es vor, hintereinander zu bleiben und der Felskante nicht näher als nötig zu kommen.
Das Klappern der Hufe hallte laut von den Steinwänden wider. Schnee gab es hier keinen; der wenige, den der Wind seitlich hereingetragen hatte, war von den Hufen und Füßen des vorauseilenden Rittertrupps zerstampft worden. Umso tückischer aber war die Eisschicht, mit der der eisige Wind den Fels überzogen hatte, und nicht nur die Menschen strauchelten dann und wann: Auch die Rösser hatten ihre liebe Not, auf dem rutschigen Untergrund Fuß zu fassen.
Die Spuren der anderen Ritter und ihrer Männer waren auf dem gesamten Weg nicht zu übersehen.
Plötzlich blieb Dragutin stehen und untersuchte den Boden, ging dann aber ohne ein Wort weiter. Als Aelvin die Stelle erreichte, entdeckte er Blutspuren, als wäre dort ein Körper über das raue Gestein geschleift worden. Vorsichtig blickte er über die Kante in den Abgrund, doch falls ein Mensch oder ein Tier dort hinabgestürzt war, gab es keinen weiteren Hinweis darauf. Die Fluten der Morava waren so klar wie venezianisches Glas und in dieser Enge stark genug, um selbst einen schweren Körper flussabwärts zu tragen.
Bis zum Mittag marschierten sie ohne Unterbrechung. Manchmal öffneten sich die Galerien zu natürlichen Plätzen, die mit dornigem Buschwerk bewachsen und zum Himmel hin offen waren – breite Spalten oder Klüfte im Gestein, die sich ebenso gut für eine Rast wie für einen Hinterhalt anboten.
» Sichels Festung liegt ein gutes Stück weiter südöstlich in den Bergen «, erklärte Dragutin. » Die Armee des Königs sammelt sich einen halben Tagesritt von hier an der Straße, um die Räuber vereint in ihrem Bau anzugreifen. Vermutlich werden sie schon aufgebrochen sein, wenn wir die Sammelstelle erreichen, aber wer weiß, vielleicht bekommt Ihr Gelegenheit zu einer Audienz beim König. «
Keinem von ihnen lag besonders viel daran, doch Albertus nickte freundlich, als wäre ihm ein solches Zusammentreffen die größte Freude. Seit sie die Felsgalerien betreten hatten, waren Dragutins Versuche, mit dem Magister zu disputieren, seltener geworden, was keineswegs an Albertus lag. Vielmehr schien der Ritter die Lust am Gespräch zu verlieren, solange sie auf diesen unsicheren und beschwerlichen Wegen unterwegs waren.
Am späten Nachmittag weitete sich die Galerie erneut. Hier verkündete ihnen Dragutin, dass sie bald ans Ende dieser Etappe kämen. Noch ein schmales Stück Weg, dann änder e s ich die Landschaft und die Straße führe wie zuvor unten am Ufer entlang. Alle waren erleichtert, als sie dies hörten, und so beschleunigten sie ihre Schritte bei der Aussicht, das Schlimmste bald hinter sich zu haben.
Die Römergalerie endete, und der Weg führte um einen kegelförmigen Felsen hinab ins Moravatal. Die Schaumkronen auf dem Wasser schienen zu wetteifern in ihrem Bestreben, sich durch das Felsentor zu zwängen.
Zwei Stunden lang zogen sie durch eine Landschaft aus Wald und schroffen Felskuppen. Dann entdeckten sie den ersten Toten. Es war einer der Waffenknechte, und man hatte ihn enthauptet.
Der zweite war Sava, Dragutins Bruder. Sie erkannten ihn an dem Adler auf seiner Brust.
DER HINTERHALT
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