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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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einzige Laut zwischen den Hängen war das Gurgeln des Flusses, der mit enormer Macht gen Norden raste. Er hatte ein tiefes Bett in den Grund des bewaldeten Tals getrieben.
    Am Ufer herrschte eisiges Schweigen.
    Dragutin kniete mit gesenktem Haupt neben dem Leichnam seines jüngeren Bruders. Sie hatten Sava und die drei anderen erschlagenen Ritter nebeneinander aufgebahrt. Die Vasallen lagen noch genauso im Schnee, wie sie gefallen waren, und die Hilflosigkeit angesichts dieses wahllosen Tötens setzte Aelvin beinahe ebenso zu wie die Furcht vor dem, was ringsum in den Wäldern lauern mochte.
    Der gesamte Trupp war aufgerieben worden. Dreiundzwanzig enthauptete Leichen. Die Männer, die den Rittern und ihren Knechten hinter den Felsen aufgelauert hatten, hatten jedem Einzelnen den Kopf abgeschlagen und waren mit ihren Trophäen verschwunden. Sogar die Räuber, die bei dem Kampf gefallen waren, waren verstümmelt worden; nach ihrem Tod hatten ihre Kameraden keinen Unterschied gemacht zwischen Freund und Feind.
    Wie ein Feld aus Klatschmohn leuchtete der rote Schnee auf dem Schlachtfeld. Obgleich das Blut inzwischen gefroren war, hing noch immer der Gestank offener Wunden und aufgeschlitzter Bäuche in der Luft, als fände er keinen Weg aus dem Tal.
    Sie alle standen wie betäubt zwischen den Leichen, unfähig, irgendetwas Sinnvolles zu tun. Der Boden war zu hart gefroren, um Gräber auszuheben, und ohnehin waren da zu viele Tote, die sie hätten beerdigen müssen. Lediglich die vier Ritter lagen nebeneinander auf einem Felsen, die Hände über der Brust verschränkt, die grässliche Leere über ihren Schultern mit dem Stoff der Mäntel bedeckt.
    Albertus sprach über sie und alle anderen Gefallenen den Segen des Herrn, aber Aelvin kamen die Worte leer und bedeutungslos vor. Er fand keinen Trost darin, und auch Dragutin sah aus, als gäbe es nichts, das den Gram von ihm nehmen könnte. Dennoch vergoss der Ritter vor seinen Männern keine Träne, und als er sich schließlich erhob und sein Pferd bestieg, war seine Miene entschlossen und sein Blick so kalt wie die Wasser der Morava.
    » Sava war mein einziger Bruder «, sagte er und sah dabei Libuse an, als wären die Worte allein an sie gerichtet. » Seit dem Tod meines Vaters habe ich die Verantwortung für ihn getragen. Ich habe unserer Mutter versprechen müssen, auf ihn Acht zu geben, bevor wir losgeritten sind. « Er hob die Hand ans Visier, um es nach unten zu klappen, doch auf halbem Weg stieß es auf Widerstand. Ein Ruck fuhr durch seinen Körper.
    In Dragutins Gesicht steckte ein Armbrustbolzen.
    Als er seitwärts vom Pferd kippte, zog er einen Schweif aus sprühendem Blut hinter sich her.
    » Lauft! «, schrie Albertus. » Um Gottes willen, lauft um euer Leben! «
    Die vier Waffenknechte des Ritters hatten ihren Schrecken noch nicht überwunden, als am Waldrand Geschrei laut wurde. Einer von ihnen wurde von einem Pfeil getroffen; die Wucht des Einschlags hob ihn in die Luft und schleuderte ihn gut zwei Schritt entfernt in den Schnee. Die beiden anderen ergriffen Schwert und Bogen, obgleich die Zahl der unheimliche n G estalten, die den Hang herabstürmten, keinen Zweifel am Ausgang des Kampfes ließ. Es musste sich um eine Nachhut jenes Trupps handeln, der die Ritter niedergemacht hatte, und es waren mehr als genug Männer, um es mit der kleinen Gruppe Wanderer und ihren Beschützern aufzunehmen. Zehn, schätzte Aelvin, ohne sich die Zeit zu nehmen, sie zu zählen. Vielleicht ein paar mehr.
    Er ließ die Maultiere los, wollte Favola packen, doch sie war im selben Moment aus ihrer Erstarrung erwacht und rannte mit ihm. Sie trug den entblößten Luminaschrein in beiden Händen. Ihr blieb keine Zeit, ihn zurück in das Bündel auf ihrem Rücken zu schieben, als sie entlang des Flusses in südliche Richtung liefen. Auch die Übrigen hatten sich in Bewegung gesetzt. Corax wurde von Libuse mitgezerrt. Er stellte keine Fragen; das wilde Geschrei der Räuber war Erklärung genug.
    Dragutins Knappe hatte seinen Bogen gespannt und in rascher Folge drei Pfeile abgeschossen. Er war der Einzige, der nicht davonlief. Breitbeinig stand er über dem Leichnam seines Herrn und sandte den Räubern den gefiederten Tod entgegen. Sein erster Pfeil traf den Bogenschützen, der zweite den Räuber mit der Armbrust. Der dritte ging fehl, und nun waren die Männer bereits zu nah heran, als dass er erneut in den Köcher greifen und die Sehne spannen konnte. Er ließ den Bogen fallen, zog

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