Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
wollte sich nicht fügen. Er betete, weil man es von ihm erwartete, doch er tat es nur selten von Herzen. Er gab vor, dem Herrn zu dienen, wenn man ihn danach fragte, aber er spürte keine echte Liebe zu Gott – nicht nach dem, was seinen Eltern widerfahren war. Und er verstieß, was das Schlimmste war, gegen die Regeln der Konventgemeinschaft. Nicht böswillig und nur selten so schwer, dass es zu ernsthaftem Schaden führte. Und doch waren die Streiche, die er den älteren Brüdern spielte, die kleinen Diebereien aus der Speisekammer, das gelegentliche Widerwort und die verbotenen Ausflüge in die Stadt Grund genug, dass ihn eines Tages das Oberhaupt des Konvents zu sich zitierte.
    Der Magister Albertus von Lauingen galt als gerechter Mann, wenn auch allzu sehr seinen Lehren, Forschungen und Studien verpflichtet, um sich ernsthaft um die Regularien und Abläufe des Klosters zu kümmern. Irgendwann aber waren die Geschichten vom Treiben des Novizen Aelvin auch an sein Ohr gedrungen, und weil er womöglich keine Zeit mit weiterem Ärger, den Beschwerden von Aelvins Oberen oder gar dem Nachsinnen über Bestrafungen verschwenden wollte, fällte er ein Urteil.
    An einem stürmischen Herbsttag wurde Aelvin in die Studierstube des Magisters befohlen. Der Wind jammerte um die Mauern des Konvents, die groben Glasscheiben in den Fenstern bebten und schepperten, und ein eiskalter Luftzug pfiff durch alle Gänge und Treppenschächte des Gebäudes. Aelvin zitterte, als er dem Magister gegenübertrat. Er gab vor, dass es an einer Erkältung läge.
    » Mein Junge «, begann Bruder Albertus und schaute nur widerwillig von seinem Studierpult auf, als wäre Aelvin eine Fliege, die ihm bei seiner Arbeit um den Schädel schwirrte. »Ich habe manch Gutes über dich gehört, vor allem über deine Fähigkeiten im Skriptorium, was ein geh öriges Kompliment ist für einen Novizen deines Alters. « Damals war Aelvin elf gewesen, und er wusste nur zu gut um sein Talent. » Doch mir wurde auch anderes über dich zugetragen. Dinge, die mein Ohr weit weniger erfreuen. «
    Aelvin fühlte sich sehr klein und, vielleicht zum ersten Mal, wahrhaft schuldig im Angesicht dieses Mannes. Etwas sagte ihm, dass es diesmal nicht mit dem Beten einiger Rosenkränze, dem Ausschluss von Mahlzeiten oder dem Schrubben der Aborte und Zellenböden getan sein würde. Der Blick des Magisters verhieß Übles, das dunkle Glosen in seinen Augen, der Schatten seiner buschigen Augenbrauen.
    » Du wirst den Konvent verlassen «, sagte der Magister, » und zwar zu deinem eigenen Besten. «
    » Verlassen? «, entfuhr es Aelvin.
    Albertus nickte, denn sein Entschluss war endgültig. » Ich will nicht, dass du der Christenheit verloren gehst bei all deinem Talent für schöne Schriften und Illuminationen. Aber ich kann auch nicht zulassen, dass du noch mehr Unruhe in die Reihen der Brüder bringst. Wir Dominikaner sind ein Bettelorden, das weißt du, vollkommener Armut und Besitzlosigkeit verpflichtet. Einen einzelnen Bruder, der sich wieder und wieder über die Regeln hinwegsetzt, kann ich nicht dulden. «
    » Aber – «
    » Unterbrich mich nicht! « Von einem Herzschlag zum nächsten schlug Albertus ’ Freundlichkeit in Zorn um. Er ließ beide Hände auf die Platte des Studiertischs krachen und erhob sich. Er war ein großer Mann, und nun blickte er dräuend auf Aelvin herab. » Wage es nicht noch einmal, mir ins Wort zu fallen, Junge! Was ich entschieden habe, wird geschehen. Du wirst Köln verlassen, und du wirst dem Orden den Rücken kehren. Die Stadt bietet einem wie dir zu viele Lockungen und Ablenkungen. Anderswo, in einer ruhigeren Umgebung, wirst du vielleicht zu Gott finden und deine Pflichten ernster nehmen. «
    Aelvin stand da, als hätte Albertus sein Todesurteil verhängt. Er spürte seine Beine nicht mehr und, genau genommen, auch nicht den Rest seines Körpers.
    Den Orden verlassen. Köln verlassen.
    » Du wirst zu den Zisterziensern gehen. Sie haben sich ebenso der Armut verpflichtet wie wir Dominikaner. Aber sie haben ihre Regeln gelockert, seit sie in ihren abgelegenen Klöstern zu bescheidenem Besitz gekommen sind. « Da war ein Anflug von Missfallen im Ton des Magisters, doch er schwand rasch. » Zudem sind sie bekannt für die Qualität der Codices, die sie in ihren Werkstätten und Skriptorien herstellen. Ich habe bereits einen Brief an den Abt eine s Z isterzienserklosters gesandt, und weil ich persönlich meine Empfehlung ausgesprochen habe, ist

Weitere Kostenlose Bücher