Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
gewesen, sie nach der Reise mit Fett zu bestreichen, damit sie schneller heilten, doch daran hatten wohl weder der Abt noch Albertus einen Gedanken verschwendet.
Aelvin blickte zu Bruder Marius ’ Tisch hinüber. Dutzende von Schalen und Tiegeln standen da, und bestimmt würde er dort finden, was er suchte. Dann aber schüttelte er stumm den Kopf. Das konnte er nicht tun. Er durfte nicht einfach ihre Lippen berühren, ganz gleich, wie gut gemeint es war.
Stattdessen betrachtete er sie neugierig. Die Wärme des Feuers drang durch sein Nachtgewand und breitete sich in ihm aus wie ein Schluck von Bruder Jakobs selbst gebranntem Beerenelixier. Oder kam die plötzliche Hitze von ihrer Nähe? Ein ähnliches Gefühl hatte er verspürt, als er Libuse zum ersten Mal gesehen hatte. Diese Erkenntnis irritierte ihn vollends.
Ein schöner Mann Gottes bist du, Aelvin. Wenn dich der Anblick jedes weiblichen Wesens derart aus der Fassung bringt, dann bist du hier im Kloster wahrlich am besten aufgehoben.
Die Decke hob und senkte sich sanft. Das Mädchen atmete ruhig, trotz des erregten Zuckens hinter den Lidern. Aelvin entdeckte, dass ihre linke Hand ein Stück weit unter dem Wollrand hervorschaute. Sie trug hellbraune Handschuhe aus feinem Leder, die eng wie eine zweite Haut anlagen. Warum hatte man sie ihr zum Schlafen nicht abgestreift? Sie schienen ohnehin kein rechter Schutz gegen den Frost draußen in den Wäldern zu sein, gewiss hatte sie noch ein zweites Paar darüber getragen. Aber warum hatte sie diese hier dann noch an? Verbargen sie etwas? Vielleicht Brandwunden oder Narben?
Er war gebannt von ihrer schutzlosen Feingliedrigkeit, der Zartheit ihrer Züge. Der Wunsch, sie zu berühren, wurde übermächtig. Ganz zaghaft nur, ganz vorsichtig. Nur herausfinden, wie sie sich anfühlte.
Er huschte hinüber zum Tisch und fand nach kurzem Stöbern eine Schale mit Fett. Damit kehrte er zu dem Mädchen zurück, verrieb ein wenig auf seiner Fingerspitze und streckte die rechte Hand aus. Sein ganzer Arm bebte bis hinauf zur Schulter. Allein das Hämmern seines Herzens hätte sie schon wecken müssen. Längst spürte er den kalten Boden nicht mehr unter seinen nackten Füßen, und selbst seine Furcht vor den Konsequenzen verschwand hinter einer flugs errichteten Mauer aus Neugier.
Aelvins Zeigefinger berührte die Unterlippe des Mädchens. Gott, wie weich sie war, obwohl die Kälte sie hatte spröde werden lassen. Ihr Gesicht wäre vielleicht schön gewesen, hätte da nicht eine Spur von Auszehrung, von Hunger und Verzweiflung in ihren Zügen gelegen. Sie hatte Entbehrungen erduldet, die Unbill des Winters und eine lange Wanderung bis zur völligen Erschöpfung. Ihr Schlaf glich beinahe einer Ohnmacht, sonst hätte sie spätestens jetzt erwachen müssen.
Ganz sanft verstrich er das Fett auf ihren aufgesprungenen Lippen, hauchdünn nur. Er hatte noch niemals den Mund einer Frau berührt.
Ihre Augäpfel rollten.
Ihre Lippen lösten sich voneinander, brachen auf wie die Eiskruste über einem zugefrorenen See. Erschrocken riss Aelvin die Hand zurück.
Seine Finger hatten nicht länger als vier, fünf Herzschläge lang ihre Haut berührt. Doch das war genug, einen Sturm ungeahnter Empfindungen über ihn hereinbrechen zu lassen. Die feine Glätte ihrer Haut. Die Hitze unter seinen Fingerspitzen. Das Feuer, das seinen Arm emporloderte und geradewegs in Hirn und Herz fauchte.
Wer war sie? Was tat sie hier?
Und was tat sie mit ihm?
Mit dir?, höhnte es in seinem Kopf. Sie liegt da und schläft. Du bist es, der etwas tut, und du benimmst dich dabei wie ein gottverdammter Dummkopf.
Sie wurde unruhig . Ihre Lippen öffneten und schlo ssen sich kaum merklich, so als murmelte sie Worte, die nicht hervorkommen wollten. Etwas hatte sie im Schlaf in höchste Aufregung versetzt, vielleicht ein wilder Traum, gerade in jenem Moment, als Aelvin sie berührt hatte.
Er musste sich zwingen, einen Schritt zurück zu machen, trat zu nah an den offenen Kamin und wich rasch zwei weitere Schritte zur Seite, um der Reichweite der züngelnden Flammen zu entkommen.
Sehr weit entfernt schien sie ihm jetzt. Das Band zwischen ihnen war gerissen – falls denn da wirklich eines gewesen war und er es sich nicht nur eingebildet hatte. Er atmete durch. Sie war nur ein Mädchen, nicht mehr. Ein Schützling des Magisters. Und sie würde Aelvin nichts als Unglück einbringen, wenn er noch länger hier stand und sie anstarrte.
Von der Tür drang ein Scharren
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