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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gleich morgen früh weiterziehen? «
    » Lasst Euch Zeit «, sagte Albertus kopfschüttelnd. » Vor übermorgen reisen wir nicht ab. Es gibt jemanden in diesen Wäldern, dem ich einen Besuch abstatten muss. Nur deshalb haben wir den weiten Umweg auf uns genommen. « Auch sein Kahlkopf schimmerte, aber noch immer bekam Aelvin nur einen vagen Eindruck seines Gesichts. Buschige weiße Augenbrauen, eingefallene Wangen – und Bartstoppeln, die einem hoch gestellten Geistlichen wie ihm keineswegs gut zu Gesicht standen. Wie es schien, hatte er sich während der Wanderung nicht einmal Zeit für eine Rasur genommen.
    Die beiden Mönche wandten sich zur Tür. Noch einmal blickte Albertus über die Schulter zurück zum Bett des Novizen. Diesmal wagte Aelvin nicht, das halb geöffnete Auge zu schließen, aus Angst, die Bewegung könnte ihn verraten. Die Entfernung war hoffentlich zu groß, als dass der Magister es bemerkte.
    » Vielleicht solltet Ihr den Jungen doch in eine andere Kammer bringen lassen. «
    » Vertraut mir «, sagte der Abt mit einem Naserümpfen, denn nun fühlte er sich wirklich in seiner Ehre gekränkt. » Er kann nicht laufen. Sicherlich noch zwei, drei Tage lang. Außerdem kennt Ihr ihn – die Trompeten der Erzengel müssten zum Jüngsten Gericht blasen, damit er freiwillig ein warmes Bett verlässt. « Bei den letzten Worten schmunzelte er, und Aelvin glaubte zu seinem Erstaunen beinahe so etwas wie Wohlwollen darin zu entdecken. Hasste der Abt ihn nicht gar so sehr, wie er angenommen hatte?
    » Nun gut «, sagte Albertus und folgte Abt Michael hinaus auf den Gang. » Wie Ihr meint. «
    Sie zogen die Tür des Infirmariums hinter sich zu. Von außen wurde ein eiserner Riegel vorgeschoben, der nur benutzt wurde, wenn einer der Mönche krank wurde und Bruder Marius eine Gefahr für die übrigen Mönche befürchtete. Dann kam es vor, dass der Kranke eingeschlossen wurde, damit er sich nicht im Fieberwahn erheben und die gesamte Bruderschaft anstecken konnte.
    Aelvin atmete so tief durch, dass es zu einem lauten Seufzer geriet. Nicht einmal heute Nachmittag, im Angesicht der Bestie im Wald, hatte er solche Angst gehabt wie in den Minuten zuvor.
    Albertus von Lauingen. Hier im Kloster! Über sein Bett gebeugt!
    Er schlug die Decke zurück, schwang die Beine über die Bettkante und blieb wie erstarrt sitzen, die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in den Händen vergraben. Erst mal sammeln. Durchatmen. Warten, bis sich sein Herzschlag beruhigt hatte.
    Dann erst hob er den Kopf und blickte durch den Raum zu dem zweiten belegten Bett hinüber. Das Mädchen ruhte mit dem Gesicht zum Feuer. Aelvin konnte nur ihren Hinterkopf erkennen, eingerahmt von Decke und Kissen.
    Erneut beschleunigte sich sein Puls. Er hörte seine Herzschläge hämmern.
    Ein Mädchen. An der Seite des Magisters.
    Du musst es tun, lockte ihn seine innere Stimme. Du findest ohnehin keinen Schlaf mehr.
    Sehr langsam, sehr vorsichtig erhob er sich von seinem Bett. Erst zögernd, dann entschlossener, lauschend, bebend, fiebernd vor Neugier, schlich er hinüber zum Bett des Mädchens.
    *
    Aelvins Eltern waren bei einem Feuer ums Leben gekommen. Damals war er noch ein Kind gewesen. Sie waren Händler in der Bischofsstadt Köln gewesen, doch gut genug gestellt, u m o hne beträchtliche Sorgen zu leben. Aelvin war ihr einziger Sohn, und somit war es beschlossene Sache, dass er dereinst den Tuchhandel am Rheinufer erben würde.
    Dann war das Feuer ausgebrochen. Eine umgestürzte Kerze, ein Fass mit Öl zum Fetten von Segeltuch, ein Haus aus Holz und ein langer, trockener Sommer hatten ausgereicht, Aelvins Leben in neue, ungeahnte Bahnen zu lenken.
    Die Brüder seines Vaters hatten den neunjährigen Jungen nicht aufnehmen wollen. Der Dominikanerkonvent schien ein sauberer Weg zu sein, das Kind loszuwerden. Eine Spende für einen Anbau; ein wenig Jammern und Wehklagen über die vielen M ä uler, die man bereits zu stopfen habe; dann eine Eingabe beim Prior und eine weitere milde Gabe für den Ausbau des Skriptoriums – und schon war aus dem Waisenkind Aelvin, vormals Händlersohn, Aelvin der Dominikanernovize geworden.
    Eine Weile lang hatte es ausgesehen, als würde sich alles zum Guten wenden. Aelvin erwies sich als gelehriger Schüler, vor allem im Umgang mit Feder und Pinsel, und bald lobten ihn seine Lehrer für sein Feingefühl beim Zeichnen und Kopieren von Schriften. Einem festen Platz im Skriptorium stand nur eines im Wege: Aelvin

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