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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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aber sie sah ihn nicht an, weil es ihre Konzentration unterbrochen hätte. Sie unterdrückte die Erleichterung, die Freude darüber, dass er erwachte, dass es ihm besser ging. Wieder erbebte sie, und diesmal nicht mehr vom Frost. In ihr war ein Gefühl, das sich zur Ekstase steigerte. Es kochte empor und quoll nach außen, strömte aus ihrem Körper, aus jeder Öffnung, jeder Pore, und sie stieß einen Schrei aus, der weithin über das Wasser hallte.
    *
    » Alles umsonst «, sagte Aelvin, während er in seine Stiefel schlüpfte. » Ohne die Lumina ist unsere Reise am Ende. «
    Er konnte Libuse nicht in die Augen sehen, aus einem Grund, den er selbst nicht recht verstand. Scham, weil sie ihn ausgezogen hatte? Herrgott, sie hatte dadurch sein Leben gerettet!
    » Gar nichts ist am Ende «, widersprach sie mit brüchiger Stimme. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Sie sah erschöpft aus. » Ich habe diese Reise nicht wegen eurer dummen Pflanze angetreten. Ich will die Wahrheit über mich und meine Mutter erfahren, das ist alles. «
    » Wir müssen zurück zu den anderen «, sagte er und rückte seine Kleidung zurecht. Die Wolle war so trocken wie Laub im Hochsommer und ganz steif, so als hätte sie zu lange und zu nah an einem Feuer gelegen. » Ich muss Favola finden. «
    Libuse antwortete nicht, sah ihn nur an.
    Er hielt inne und erwiderte ihren Blick. » Sie ist nicht tot. «
    » Woher weißt du das? «
    » Sie kann nicht tot sein. Sie … sie dient dem Herrn. Sie lebt nur für ihn. «
    Sie sah ihn zweifelnd an, deutete dann aber nur mit einem Kopfnicken zum Ufer hinab, ein graues Band, das in der Finsternis erstarrt zu sein schien. Allein das unablässige Donnern der Strömung verriet, dass das Wasser mit unverminderter Geschwindigkeit dahinrauschte. Das gegenüberliegende Ufer war in der Nacht gänzlich unsichtbar geworden. » Wie willst du über den Fluss kommen? «
    » Er hat uns wieder nach Norden getragen, zurück auf dem Weg, den wir gekommen sind «, sagte Aelvin. » Aber weiter im Süden muss es eine Brücke geben. Oder eine Furt. Die Ritter haben gesagt, Sichels Festung liege auf der Ostseite. Irgendwie müssen die Räuber ja auch herübergekommen sein. «
    Dass sie auf dem Weg dorthin die Stelle passieren würden, an der sie in den Hinterhalt geraten waren, lediglich auf der anderen Seite des Flusses, war kaum zu ertragen. Was, wenn sie auf dem Hügel die Leichen von Favola, Corax und Albertus liegen sehen würden? Sie könnten nicht einmal zu ihnen gehen, um sie zu begraben, weil der Fluss es ihnen nicht gestattete. Vielleicht war es ja eine Gnade, dass mittlerweile stockfinstere Nacht über dem Land lag.
    Libuse nickte langsam, und erst jetzt wurde Aelvin klar, dass sie verzweifelt gegen ihre Trauer ankämpfte. Sein schlechtes Gewissen ließ ihn erröten: Als sie ihm nachgesprungen war, hatte sie ihren Vater zurückgelassen. Je länge r e r darüber nachdachte, desto unbegreiflicher erschien es ihm.
    Seine Stimme wurde sanft, und er begriff, dass er alles falsch gemacht hatte. Er hatte sich wie ein herzloser Tölpel aufgeführt. » Es tut mir Leid «, sagte er. » Wirklich – ich bin ein Dummkopf. «
    Er stand auf und reichte ihr die Hand, denn nun war er der Kräftigere von ihnen beiden: Die Beschwörung hatte sie eines Großteils ihrer Reserven beraubt. Ihre Hand war sehr kalt und zitterte leicht, als sie die seine ergriff und sich auf die Beine ziehen ließ. Zögernd standen sie sich gegenüber. Schließlich umarmten sie einander unbeholfen.
    » Danke «, sagte er leise an ihrem Ohr. Ihr langes rotes Haar roch nach Erde und Harz. » Du hast mein Leben gerettet. « Noch vor wenigen Wochen hätte er sein Augenlicht für einen Moment wie diesen gegeben. Libuse in seinen Armen.
    Ein wenig zu abrupt ließ er sie los, und dann blickten sie beide zu Boden, erst verdattert, dann peinlich berührt.
    » Lass uns gehen «, brachte er heiser hervor.
    » Ja «, sagte sie leise.
    *
    Sie wussten nicht, wie lange sie schon liefen, nahezu wortlos und wie unter einer Glocke aus Unwirklichkeit. Der Himmel war dicht verhangen, nirgends waren ein Stern oder gar der Mond zu sehen.
    » Glaubst du, wir sind bereits daran vorbei? «, fragte Aelvin irgendwann, während er noch immer erfolglos versuchte, jenseits der Nachtschwärze das andere Ufer auszumachen.
    Libuse zuckte die Achseln. » Es ist zu dunkel. «
    Sie klagte nicht über ihre Erschöpfung, doch er spürte deutlich, wie schwach sie war. Der Marsch durch die Nacht

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