Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
entspross, mit gezackten, braungrünen Blättern, die elend nach unten hingen.
Gabriel konnte kaum glauben, dass dies der Schatz war, dem sie wochenlang nachgejagt waren. Dieses halb tote Pflänzchen sollte der Ursprung für ein neues Paradies sein? Andererseits wusste er, dass viele gute Männer ihr Leben auf der Suche nach schäbigeren Reliquien gelassen hatten: Holzspänen, die womöglich vom Kreuze Christi stammten; Tonbechern, aus denen vielleicht ein Jünger beim Letzten Abendmahl getrunken hatte; mürbe Knochenreste, die Gott weiß wem gehört haben sollten.
Die Lumina war nur ein weiteres unscheinbares Ding, das manch einem Erlösung und Himmelreich bedeutete. Wenn Erzbischof Konrad so erpicht darauf war, würde Gabriel es ihm bringen. Gern auch hübsch verpackt und in Weihrauch geschwenkt, wenn das die Heiligkeit erhöhte.
Er leerte eine der prallen Satteltaschen und schob den Schrein hinein. Die Tasche ließ sich nicht vollständig schließen, der Deckel des Behälters schaute zwei Fingerbreit hervor.
Er wollte gerade die Zügel des Pferdes lösen, als sich ein scharfer Schmerz tief in seine Eingeweide bohrte. Die Schlange erwachte aus ihren kalten Reptilienträumen. Der Nigromant musste erkannt haben, dass Gabriel ihn erneut hinterging.
Er schrie ohrenbetäubend, als der Schmerz unerträglich wurde. Fiel auf die Knie und spie einen Schwall Erbrochenes auf den Felsboden. Das Pferd wurde unruhig und tänzelte nervös, Atemwolken stießen aus seinen trockenen Nüstern. Gabriel hielt sich mit seiner gesunden Hand am Steigbügel fest, zog sich mühsam wieder auf die Beine. Merkwürdigerweise ließ die Pein jetzt ein wenig nach, auch die Bewegungen der Schlange wurden schwächer. Auf dem Weg hier herunter hatte er das Biest in seinem Inneren kaum gespürt, so als sei Oberons Fluch kurzzeitig aufgehoben.
War es möglich, dass – Gott, ja, vielleicht! Zitternd legte er beide Hände – die gesunde und die zermalmte – auf den Deckel des Luminaschreins. Er hatte ein Zeichen erwartet, irgendeinen Anhaltspunkt, dass er mit seiner Hoffnung richtig lag. Aber weder strahlte die Pflanze Wärme aus, noch verhießen ihm Blitz und Donner den Einfluss des Überirdischen.
Und doch, die Schlange erschlaffte. Der Schmerz erlosch. Nur ein leichtes Ziehen erinnerte ihn noch an den Augenblick der Qual.
Er konnte es nicht glauben. Und doch gab es keine andere Möglichkeit. Die Lumina war mehr als ein gewöhnliches Kraut. Sie setzte die Zaubermacht des Nigromanten außer Kraft, solange er nur so nah wie möglich bei ihr blieb.
Es dauerte eine Weile, ehe er den Schrein mit nur einer Hand aus der engen Gepäcktasche gezogen hatte. Wenn er erst im Sattel saß, würde er sie wieder dorthin zurückstecken. Solange er das Tier jedoch am Zügel durch die Tunnel führte, wollte er den Schrein vorsichtshalber im Arm tragen. Er verfluchte sich, weil er keinen Rucksack mitgebracht hatte.
Nahe dem Eingang der Felskammer lag ein Bündel mit den Plänen der Mine. Er hatte sich die Schächte so gut wie möglich eingeprägt, doch er wollte sichergehen, sich nicht in den Tiefen des Berges zu verirren. Die Karten, gezeichnet auf dünner Kuhhaut, waren ihrerseits in festes Leder eingeschlagen und mit einem Band gesichert. Gabriel schob das Bündel in die leere Satteltasche, löste die Augenbinde des Pferdes, knotete sich die Zügel an den verletzten Unterarm – das war schmerzhaft, aber unvermeidlich – und nahm die Fackel in die rechte Hand. Endlich bereit zum Aufbruch, machte er sich auf den Weg durch die Dunkelheit.
Lange wanderte er durch die Finsternis, ein gleichförmiges Einerlei aus Stollen und Schächten. Dann und wann stieß er auf zurückgelassenes Werkzeug, und einmal entdeckte er unter der Decke Fledermäuse; doch sie rührten sich nicht, als er unter ihnen vorüberzog und die Fackel sie mit Ruß vernebelte.
Das Pferd folgte ihm duldsam. Einmal ließ er es an einem schmalen Wasserlauf trinken, der aus einer Wand rann. Er gewährte ihm den Vortritt, bevor er selbst trank, nicht aus Furcht vor Vergiftung, sondern weil er Mitleid mit dem armen Tier hatte, das für den Weg durch die Bergtiefen noch weniger geschaffen war als er. Er hatte Pferde immer gemocht, und er bedauerte, dass er keine andere Wahl hatte, als es durch dies e e ngen Schächte zu führen. Der Anblick der geschundenen, abgemagerten Tiere in den Ställen der Burg hatte ihm fast das Herz gebrochen. Er hatte den Räuberhauptmann dafür ein wenig langsamer
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