Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
von außen abzulenken. Aus allen Richtungen ertönten Stimmen und der Tritt von Stiefeln, das Klirren von Schwertern und Knirschen der Brünnen. Fackeln brannten, und auf jede kamen mehrere Männer, Edelleute und einfache Waffenknechte.
In der Mitte der Höhle stand ein spitzgiebeliges Zelt, bewacht von der königlichen Garde. Gabriel wäre wohl nie bis dorthin gelangt, hätte er sich nicht einem der Edelmänner als Ritter zu erkennen gegeben. Ob der Mann ihm glaubte, wusste er nicht, doch sie verzichteten darauf, ihn wie einen Räuber auf der Flucht zu erschlagen, und das gab ihm vage Hoffnung.
Sechs Männer begleiteten ihn und seine kränkliche Stute bis zu dem kleinen Platz vor dem Zelt, drei auf jeder Seite. Hier ließen sie ihn anhalten, und einer eilte voraus und verschwand im Inneren.
Wenig später öffnete sich der Eingang und zwei Ritter traten heraus, gefolgt von einem dritten Mann. Der König war hoc h g ewachsen und schlank, mit hageren Zügen und dunklen, nachdenklichen Augen. Eine Narbe, die nicht nach einem Schwerthieb aussah, verunzierte sein Kinn. Sein dunkelbraunes Haar war so voll, dass es sich kaum bändigen ließ, und so hatte er es im Nacken zusammengebunden und ließ es als Pferdeschwanz über seinen roten Umhang und den silbernen Harnisch fallen. Er hatte noch keine vierzig Winter gesehen, vermutete Gabriel, ein Herrscher in der Blüte seiner Jahre. Mit fünfzehn, so hieß es, hatte er seinen älteren Bruder ermordet, um selbst den Thron zu besteigen.
Gabriel machte eine tiefe Verbeugung.
König Stefan erwiderte die Begrüßung nicht. » Ihr behauptet «, sprach er in klarem Latein, » dass Ihr ein teutonischer Ritter seid, der aus der Gefangenschaft der Räuber geflohen ist? «
» Ihr seht mich als Bittsteller, Herr, denn ich habe all mein Hab und Gut beim Angriff der Wegelagerer auf unseren Pilgerzug verloren. So wie auch alle meine Gefährten. «
» Mir scheint, es sind um diese Jahreszeit mehr Pilger auf unseren Straße unterwegs als üblich «, sagte der König und blickte Gabriel ruhig an. Hinter ihm trat ein weiterer Mann aus dem Zelt, gekleidet in einen wallenden Mantel mit zurückgeschlagener Kapuze.
» Wie ich sehe «, sagte Albertus, » bringst du mir die Lumina zurück. «
Der König gab seinen Männern einen Wink.
Hände entrissen Gabriel den Schrein. Er brüllte und tobte, und da drohten sie ihm mit den Klingen, doch noch immer gab er keine Ruhe.
Sie dachten, er wäre wahnsinnig, und schlugen ihn, bis der König ihnen Einhalt gebot. Aber er spürte nichts davon, denn all sein Fühlen und Denken war nach innen gerichtet.
Als sie ihn in Ketten legten, fern der Lumina, fraß die Schlange sein Herz.
BERÜHRUNGEN
D as Stroh, auf dem sie kauerten, stank nur deshalb nicht nach Fäulnis, weil es steif gefroren war. Die Zelle befand sich in einem Nebengebäude der Hauptburg, und abgesehen von den Ratten schien niemand sonst in diesen Kammern sein Dasein zu fristen.
» Es ist aussichtslos «, sagte Aelvin.
Libuse blickte ihn über ihre Knie hinweg an, als wollte sie widersprechen, ließ es dann aber bleiben. Sie war genau wie er fest in ihren Mantel verpackt, hatte die Beine an den Körper gezogen und die Arme um die Knie geschlungen. Sie saßen Seite an Seite, eng beieinander, um sich gegenseitig zu wärmen. Gelegentlich stand einer von ihnen auf, machte ein paar Schritte und ließ sich zurück auf seinen Platz vor der kalten Mauer fallen. Sich mit dem Rücken daran zu lehnen hatte sich als wenig ratsam erwiesen, denn davon kühlte der Körper nur noch schneller aus.
» Wie lange werden sie uns hier drin sitzen lassen? «, fragte Libuse.
» Wenn wir Pech haben, vergessen sie uns einfach. Oder Glück, ganz wie man ’ s nimmt. «
Als Gabriel mit der Lumina verschwunden war, hatte er den Wolfskriegern keinen Befehl gegeben, wie mit den beiden Gefangenen zu verfahren sei. Es war ihm einerlei, ob sie lebten oder starben. Einer der Männer hatte vorgeschlagen , sie auf der Stelle zu töten; ein anderer hatte zu bedenken gegeben, dass in diesen Tagen niemand mehr vorausahnen konnte, was sich der Nigromant und Gabriel als Nächstes in den Kopf setzten. Womöglich wäre es sicherer, den Jungen und das Mädchen einzusperren, bis jemand eine eindeutige Order erteilte.
Und so waren sie hierher gebracht worden, schon vor Stunden, wie es schien. Libuse war noch immer bewusstlos gewesen, als die Männer sie auf dem Zellenboden abgelegt hatten wie ein totes Stück Vieh. Aelvin hatte
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