Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
doch die Mongolenprinzessin ließ sich nicht beirren.
» Ich kam her, um Eure Stadt zu retten «, sagte sie. » Aber nun ist es zu spät, fürchte ich. Und die Schuld daran trägt ein einzelner Mann. «
» So? «, fragte der Kalif. » Wer? «
Sinaida senkte die Stimme. » Euer Wesir, mein Gebieter. «
» Abu Tahir «, flüsterte Corax.
AM BASRA-TOR
V o m Dach aus hatte Bagdad nach Einbruch der Dunkelheit ruhiger gewirkt als am Tag, doch das erwies sich als Trugschluss.
Aelvin erkannte seinen Irrtum, schon kurz nachdem Favola und er hinaus in die Gassen getrieben worden waren – die Menschen waren nicht weniger geworden, nur schweigsamer. Flüchtlingsfamilien ohne Aussicht auf eine Bleibe schoben sich ziellos durch Heerscharen von Dieben, Halsabschneidern und Totschlägern. Manch einer verlor in solch einem Pulk sein Hab und Gut, andere ihre Töchter, und wer aufbegehrte, das eigene Leben.
Aelvin und Favola mussten mindestens einen Mord auf offener Straße mit ansehen, während Ja ’ fars Handlanger sie durch das Gedränge schoben. Ein andermal konnte Aelvin nicht sicher sein, welches Ende ein heftiger Streit nahm, dessen Zeugen sie wurden; aber nach ein paar Schritten erklang hinter ihnen ein so grässlicher Schrei, dass kein Zweifel mehr am Ausgang des Kampfes bestand.
Ja ’ fars Männer stießen sie grob durch die Gassen, schützten sie zugleich aber vor all den anderen finsteren Gestalten, für die zwei junge Fremde sonst eine leichte Beute abgegeben hätten.
Ihre beiden Begleiter waren junge Burschen in zerlumpter Kleidung. Der eine trug einen schmutzigen Turban, der ander e e ine topfarti ge Mütze. Beide hatten dunkle Bä rte und ließen sich im Halbdunkel der vorüberhuschenden Öllampen und Fackeln kaum auseinander halten. Sie schwiegen die meiste Zeit über, nur wenn Aelvin und Favola zu langsam wurden, stießen sie ihnen heftig in den Rücken und redeten in hektischem Arabisch auf sie ein. Sie sprachen kein Latein und schienen auch keines zu verstehen, denn als Aelvin zu Favola sagte, sie solle sich zur Flucht bereithalten, reagierten ihre Bewacher nicht darauf. Favola aber nickte kaum merklich, noch blasser als sonst, und klemmte beide Hände sichernd unter die Gurte, die das Bündel mit dem Luminaschrein auf ihrem Rücken hielten. Den Beutel mit Weihwasser, den Albertus bei ihnen zurückgelassen hatte, trug Aelvin unter seinem Mantel, zusammen mit dem in Leder geschlagenen Büchlein mit seinen Aufzeichnungen.
» Ihr könnt hier nicht bleiben «, hatte Ja ’ far zu ihnen gesagt, so fahrig, dass es keinen Zweifel daran gab, wie besorgt er war. » Alle reden davon, dass die Stadt angegriffen wird. Im Tabik -V iertel hat der Pöbel einen Wirt aufgehängt, weil er Pilgern aus dem Abendland eine Unterkunft gewährt hat. Die Leute haben behauptet, er mache gemeinsame Sache mit Spionen. Dabei haben sie nicht einmal mehr dort gewohnt. Sie sind irgendwo anders aufgegriffen worden und haben erzählt, dass sie die letzte Nacht dort verbracht haben. Jetzt baumelt er neben dem Schild über seiner Tür, und seine Töchter werden als Sklavinnen verkauft – falls nach diesem Krieg noch jemand da ist, der sie kaufen kann. «
» Du hast Corax versprochen, dass wir hier sicher sind «, hatte Aelvin protestiert und gewusst, dass es vergeblich war.
» Ja – aber nur, solange auch ich sicher bin. Ihr gefährdet nicht nur euch selbst, sondern auch mich. «
» Deine Geschäfte «, hatte Aelvin abfällig gesagt.
» Meinen Kopf. «
Ohne ein weiteres Wort hatte er sie von seinen beide n L akaien fortbringen lassen. Dass er sich bei alldem nicht einmal die Zeit nahm, den Luminaschrein zu untersuchen, zeigte ihnen, wie ernst die Lage war. Und das machte beiden eine Heidenangst.
Sie befanden sich jetzt in einer Gasse, die mit weiten, durchhängenden Tüchern überdacht war. Es roch intensiv nach Kot und Urin, die aus Eimern in die Rinnsteine rechts und links der Straße gegossen wurden. Im besten Fall lief das meiste davon in den nächstgelegenen Kanal, doch vieles blieb in Klumpen liegen und trocknete tagsüber in der Sonne. Bei Nacht kamen die Ratten hervor und wuselten wagemutig zwischen den Füßen der Menschen umher.
Immer wieder wurden sie von Blicken gestreift, bedrohlich und verschlagen. Düstere Gesichter schwammen in den Schatten und stiegen nur dann und wann ans Licht auf. Außer Favola war jetzt weit und breit keine Frau mehr zu sehen, die Flüchtlingsfamilien waren zurückgeblieben. Die Häuser
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