Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
rannten und sprangen sie, so schnell sie konnten, durch das Menschenmeer und hinterließen eine Spur aus aufgebrachten Männern und Frauen, die vor Wut bald außer sich gerieten; sie alle waren tagelang durch die Wüste marschiert, vielleicht war dies ihre erste ruhige Nacht. Aelvins Plan ging auf.
Als ihre Verfolger die Gasse erreichten, hatten sich viele Leute verschlafen aufgesetzt, einige waren auf die Füße gesprungen. Die beiden ersten Störenfriede hatten sie notgedrungen entkommen lassen, doch die beiden nächsten, die achtlos durch die Menschenmasse trampelten, hatten weniger Glück. Von allen Seiten reckten sich Ja ’ fars Knechten jetzt Hände entgegen, und bald blieben sie fluchend und zeternd zwischen den Flüchtlingen stecken wie in einem Sumpf.
» Es klappt! «, rief Aelvin, als er und Favola das Ende der Gasse erreichten. Sie hatten die Schlafenden hinter sich gelassen und sahen aus einiger Entfernung, wie ihre Verfolger endgültig von den Füßen gerissen wurden. Wie in einem Rudel Wölfe gingen sie zwischen den vermummten Gestalten unter, während Hiebe und Tritte auf sie herabhagelten.
Aelvin fühlte solch einen Triumph bei diesem Anblick, dass er sich kaum davon losreißen konnte. Favola musste ihn am Arm packen und mit sich ziehen, damit er sich endlich wieder in Bewegung setzte.
Sie rannten um mehrere Ecken, bogen immer wieder in die Richtung, die sie für Norden hielten, in der Hoffnung, sich so erneut den Mauern der Runden Stadt zu nähern. Erst eine ganze Weile später, am Rande eines Platzes, auf dem sich zahllose Menschen um Lagerfeuer scharten, hielten sie atemlos inne, vorgebeugt und mit Seitenstichen, aber glücklich, dass sie ihre Gegner abgeschüttelt hatten.
Ihre Erleichterung war nicht von Dauer, denn bald wurde ihnen bewusst, wie hoffnungslos ihre Lage war. Sie hatten keine Ahnung, wohin sie sich wenden konnten. Wie sollten sie in diesem Moloch jemals ihre Gefährten wiederfinden? Sie konnten nur versuchen, so nah wie möglich an den Palas t h eranzukommen. Nachdem sie ganz sicher waren, dass sie nicht mehr verfolgt wurden, verließen sie die Schatten der Gassen und überquerten den Platz. Verstohlen huschten sie von einem Lagerfeuer zum nächsten, zwischen Pulks aus schlafenden und wachen Menschen hindurch, stets darauf bedacht, nur ja keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Bald schälte sich aus der Schwärze über den Kuppeln und Zwiebeltürmen der vage Umriss gestufter Zinnen, in schwaches Rotgold getaucht vom Schein vieler Feuer, die hinter den Häusern am Fuß der Mauer brannten. Oben auf dem Wehrgang wanderten Lichtpunkte umher: Soldaten mit Fackeln auf Patrouille.
Am Ende einer weiteren Gasse erhob sich ein mächtiges Tor – einer der vier Eingänge zur Runden Stadt. Aelvin und Favola wussten nicht, ob ihre Freunde dasselbe Tor oder ein anderes benutzt hatten, doch für sie war es der einzige Weg hinein. Schon zeichnete sich aufgrund des Gedränges und Geschreis am Fuß der Mauern ab, dass die Wachen dem Ansturm der Massen nicht mehr lange standhalten würden. Der Aufruhr drohte in offene Rebellion umzuschlagen, und an mehreren Stellen des Getümmels erhoben sich rhythmische Sprechchöre aus zahllosen Kehlen. Aelvin verstand kein Wort, aber es gehörte nicht viel dazu, sich auszumalen, was die Menschen da brüllten: Sie alle forderten das Recht auf Zuflucht hinter den Mauern der Runden Stadt. Falls Bagdad tatsächlich angegriffen würde – und alle schienen mittlerweile davon auszugehen –, versprach allein die Festungsanlage im Zentrum der Stadt ihnen Sicherheit. Alles, was außerhalb lag, würde zum Schlachtfeld werden.
Notgedrungen machte Aelvin es genau wie alle anderen: Er schob und drängelte, schubste und stieß. Doch im Gegensatz zu den meisten hatte er keine vielköpfige Familie im Schlepptau, sondern nur Favola, und das erleichterte das Vorwärtskommen ungemein. Er verlor das Gefühl für die Zeit , während er sich durch einen Ozean aus Menschen zwängte, stets darauf bedacht, dass Favola bei ihm blieb. Mehr als einmal drohten sie getrennt zu werden, doch jedes Mal gelang es einem von ihnen, den anderen am Arm oder an der Kleidung festzuhalten und vorm Verschwinden in der Menge zu bewahren.
Das Tor wuchs über ihren Köpfen in die Nacht empor, bis sich die Fackeln auf den Zinnen kaum mehr von den Gestirnen unterschieden. Trotz der Kälte war es unmöglich, inmitten dieses verzweifelten Tumults zu frieren, überhaupt etwas zu verspüren außer der
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