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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Saal. Es war dunkler geworden seit seinem Aufbruch, und das Bett des Mädchens war nur als grober Umriss zu erkennen, der Aufwurf einer Decke, durchadert von Dunkelheit.
    Sein eigenes Lager am anderen Ende des Raumes be fand sich im Schatten. Die Wand dahinter war nicht auszumachen, so als hätte sich ein Portal in die Nacht aufgetan.
    Ganz kurz erwog er, noch einmal zu dem Mädchen zu gehen, schüttelte dann aber stumm den Kopf und eilte durch die Finsternis zu seinem Bett. Noch im Laufen streifte er die Kutte ab, legte sie dort hin, wo Bruder Marius sie am Abend drapiert hatte, zog die Schuhe aus und schlüpfte im Nachtgewand unter die Wolldecke. Als er zurück Richtung Tür sah, fiel sein Blick auf die nassen Ränder seiner Fußspuren auf dem strohbedeckten Holz; hoffentlich würde während der nächsten Minuten niemand hereinkommen und sie entdecken.
    Mit einem Gähnen streckte er sich auf dem Lager aus, schloss erschöpft die Augen, um über Albertus rätselhafte Warnungen nachzudenken – - und riss sie sogleich wieder auf.
    Im Schatten neben seinem Bett stand jemand. Eine Gestalt, nur ein Umriss, noch schwärzer als die Umgebung, als hätte sich das Dunkel zu einem festen Kern zusammengeballt.
    Mit einem erstickten Aufschrei richtete er sich auf.
    » Sag mir «, flüsterte das Mädchen, » was ist für dich das Paradies? «
    *
    Aelvin zog die Beine an und raffte die Decke über seinem Nachtgewand zusammen. » Du? «, fragte er ungläubig und, wie er einen Augenblick später einsah, wohl auch ein wenig einfältig.
    Das Mädchen legte im Dunkeln den Kopf schräg, als könnte sie ihn so besser betrachten. Ihr Gesicht lag noch immer vollständig im Schatten.
    Er räusperte sich, gemahnte sich zur Ruhe und atmete tief durch. Dann erst wurde ihm klar, was sie gerade gesagt hatte.
    » Das Paradies? «, wiederholte er verwundert.
    Aber sie ging schon gar nicht mehr darauf ein, sondern wechselte das Thema. » Hast du mich berührt? «, fragte sie.
    Sie sprach Latein, wie alle im Kloster, auch wenn sich die Mönche für gewöhnlich der örtlichen Dialekte bedienten, wenn sie außerhalb der Andachten und Messen miteinander redeten.
    » Nein! «, entfuhr es ihm blitzschnell.
    » Du hast mich nicht angefasst? «
    » Das sag ich doch gerade. «
    Sie bewegte sich jetzt, sehr langsam, fast schwebend an seinem Bett entlang zum Fußende. Dort blieb sie stehen. Allmählich schälte sich die eine Hälfte ihres Gesichts aus der Schwärze, schemenhafte Züge, dunkelrot angehaucht von der fernen Kaminglut.
    » Niemand darf mich berühren «, sagte sie tonlos.
    Sein Herz raste schon wieder, diesmal stolpernd wie ein alter Mann auf dem Acker. » Warum sollte irgendwer das wollen? «, gab er zurück. » Dich anfassen, meine ich. « Und als sie darauf nicht antwortete, fügte er hinzu: » Wir sind immerhin Mönche! « Das sollte sehr empört klingen, ja, sie sollte wissen, wie entrüstet er über ihren Vorwurf war.
    » Ich habe geträumt «, flüsterte sie. Und das schien sie noch immer zu tun: Sie klang wie eine Schlafwandlerin, die im Dämmerzustand vor sich hin redete.
    » Was hast du denn geträumt? «, fragte er. Bruder Regalius erzählte beim Essen gern von seinen Träumen und langweilte damit alle anderen Mönche bis zur Appetitlosigkeit. Umso erstaunlicher, dass es Aelvin nun tatsächlich interessierte, was sie geträumt hatte. Wie ihn überhaupt allmählich alles an ihr neugierig machte.
    » Vom Tod «, sagte sie.
    Liebe Güte! Wäre er nur nie in den Wald gegangen. Wäre er nur nie auf die vermaledeite Idee gekommen, eine Verletzung vorzutäuschen. Dann wäre ihm das hier erspart geblieben.
    Dann hättest du sie nicht berührt. Und sie würde jetzt nicht hier sein und mit dir sprechen. Wäre dir das etwa lieber?
    » Ich träume manchmal vom Sterben «, sagte sie leise. » Ich glaube, ich habe dich sterben sehen. «
    Als ihm darauf die Stimme versagte, setzte sie hinzu:
    » Aber ich bin nicht sicher, ob du es warst. Deshalb muss ich wissen, ob du mich berührt hast. «
    » Ich … ja. Nein. Natürlich hab ich nicht. Dich berührt, meine ich. Und ich weiß nicht, warum du … weshalb du so was sagst … «
    Sie trug ein Nachtgewand wie er selbst, blutrot erleuchtet auf der einen Seite. Es war viel zu groß für sie, die Schultern hingen herab bis zur Mitte ihrer Oberarme. Ihre Hände schauten nicht unter dem Stoff hervor.
    Ihre Augen … Er hatte sich vorhin gefragt, welche Farbe sie wohl hatten. Nun sah er, dass sie schwarz

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