Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
waren, so als hätte die Pupille die gesamte Iris verschlungen. Möglich, dass auch das nur an der Dunkelheit lag, die sich an ihr zu verfangen schien wie Spinnweben in den Ästen im Altweibersommer.
    » Du solltest zurück in dein Bett gehen «, sagte er. » Man wird uns bestrafen, wenn man uns so miteinander reden sieht. «
    » Du bist nicht verletzt. « Sie schien die Angewohnheit zu haben, nie auf das einzugehen, was andere sagten. Ihm wurde allmählich fast ein wenig unheimlich zumute. » Ich habe gehört, was der Abt gesagt hat «, fuhr sie fort. » Über deinen Knöchel. Aber es ist nicht wahr. Du hast gelogen. «
    » Was geht dich das an? «, gab er barsch zurück.
    » Wirst du das beichten? «
    » Das … das weiß ich noch nicht. « Er streckte demonstrativ die Beine unter der Decke aus und legte sich zurecht.
    » Ich will jetzt schlafen. Ich weiß nicht, wie es dort ist, wo du herkommst, aber hier bei uns wird früh zur Prim geläutet und – «
    » Du musst nicht zur Prim «, unterbrach sie ihn sachlich. » Weil alle glauben, dass du verletzt bist. «
    » Ja … genau. Und so wird es auch bleiben. Es sei denn, du erzählst irgendwem davon. «
    » Warum sollte ich das tun? « Wieder legte sie den Kopf ein wenig zur Seite, sichtlich irritiert.
    » Weil … nun ja … «
    » Denkst du das wirklich? Dass ich dich verrate? «
    » Ich weiß nicht. Ich kenne dich ja nicht. «
    » Mein Name ist Favola. «
    Favola. Das klang ungewöhnlich. » Ich heiße Aelvin. «
    Und während er noch darüber nachdachte, was er wohl sagen sollte, falls sie noch immer keine Ruhe gäbe, drehte sie sich ohne ein weiteres Wort um, huschte barfuß zurück durch den Raum und schlüpfte unter ihre Wolldecke. Er sah jetzt nur noch ihre Silhouette, ein Scherenschnitt vor dem wabernden Rot der Kaminglut. Er konnte nicht erkennen, ob sie zu ihm herübersah oder ihm den Rücken zuwandte.
    Auch nach einer Weile ließ ihm der Gedanke keine Ruhe. Starrte sie ihn gerade an, aus ihren großen, rabenschwarzen Augen?
    In der Stille lauschte er auf ihren Atem. Er hörte nichts, kein Luftholen, kein Rascheln, es war, als hätte er sich ihren Besuch an seinem Bett nur eingebildet.
    Als hätte er nur von ihr geträumt.
    So wie sie von ihm.
    Ein Traum von Favola und ihrem sanftweichen Wispern vom Tod.
    ALTE SCHULDEN
    I m Morgengrauen erschien der alte Mönch am Fuß des Turms.
    Libuse sah ihn und wusste gleich, dass er anders war als die Übrigen im Kloster; anders als der gestrenge Abt, der sie fortgeschickt hatte; anders erst recht als der Novize aus dem Wald, der ungeschickte Junge mit den zwei linken Füßen.
    Nachtschatten hatte sie gewarnt. Sie hatte die Rufe des Ebers im tiefen Tann gehört, dort wo er schlief oder wartete oder die Dinge tat, die Keiler bei Nacht eben so trieben. Noch vor der Dämmerung hatte er sie gerufen, in jener heiseren Sprache, die ihr nach all den Jahren so vertraut erschien. Und obgleich sie keine Worte verstand, natürlich nicht, so war ihr doch, als verstünde sie den Tonfall des Tiers.
    Einbildung, behauptete ihr Vater. Und vielleicht hatte er Recht. Aber vielleicht eben auch nicht.
    Heute Morgen hatte sie gewusst, dass Nachtschattens Ruf eine Warnung war. Die Gestalt unten am Turm bestätigte ihre Vorahnung. Libuse hatte gespürt, nein gewusst, dass jemand kam, noch bevor der Mönch aus dem Unterholz trat und mit entschlossenen Schritten über das jungfräuliche Schneekleid der Lichtung stapfte. Sie hatte ihn erwartet, oben auf dem Turm, lange bevor sie ihn sehen konnte. Hatte gewartet und Ausschau gehalten und sich an die Worte ihres Vaters erinnert.
    Es sind Wanderer dort draußen. Und Reiter. Die einen laufen davon. Die anderen folgen ihnen.
    Hier also haben wir einen von ihnen, dachte sie verbissen, während sie den Ankömmling beobachtete. Dem ersten Eindruck nach war es einer von denen, die davonliefen. Sie war nicht sicher, ob das ausreichte, sie zu beruhigen.
    Er trug einen bodenlangen Überwurf, der mit Flicken aus den unterschiedlichsten Fellen versehen war; sie erkannte Schaf-, Fuchs-, ein paar Stücke Rindsfell und sogar, wenn sie sich nicht täuschte, eine Ecke Wolfspelz. Obwohl der Mantel vor seiner Brust zusammengebunden war, sah sie dort, wo er auseinander klaffte, eine weiße Kutte mit schmutzigem Saum – sonderbar, dass ihr ausgerechnet der Schmutz auffiel, denn dagegen war niemand gefeit, der sich in dieser Wildnis herumtrieb. Doch auf dem hellen Stoff, vor dem makellosen Weiß des Schnees, fiel

Weitere Kostenlose Bücher