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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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tief in ihm ein Teil jenes Schutzpanzers, den er um seine Erinnerungen geschlossen hatte, Risse bekam.
    » Niemand, vor dem du dich fürchten müsstest «, sagte e r n ach einem Augenblick, und jetzt klang seine Stimme nicht mehr müde, sondern kühn und entschlossen.
    » Ich habe keine Angst vor ihm «, entgegnete sie ruhig. » Ich habe Angst um dich. «
    Er lächelte, jetzt war er wieder ganz der alte Corax, Ritter des Erzbischofs und Kämpfer in Dutzenden Schlachten. » Um mich mach dir keine Sorgen. Dieser Mann dort draußen ist niemand, mit dem ich nicht fertig würde. «
    Sie küsste die grauen Bartstoppeln auf seiner Wange. » Ich weiß. «
    Corax öffnete die Tür.
    *
    Sie nahmen Platz vor dem Kamin. Libuse hatte gleich nach dem Aufstehen frisches Holz nachgelegt, und jetzt tanzten die Flammen auf Scheiten so schwarz wie Kohle und verbreiteten wohlige Wärme in der Halle.
    Corax nahm auf dem hohen Stuhl Platz, dessen Rücken- und Armlehnen Libuse vor Jahren mit Schnitzereien verziert hatte: Tiere aus den tiefen Wäldern, Baumwurzeln und Blätter in allen Formen. Felle waren über dem Sitz ausgebreitet.
    Der Mann, der sich Albertus genannt hatte, setzte sich auf den zweiten Stuhl, der für gewöhnlich Libuse vorbehalten war. Da es keine weiteren Sitzgelegenheiten gab, ließ sie sich auf einem Haufen Felle unweit des Kaminfeuers nieder. So früh am Morgen war sie eine solche Wärme nicht gewohnt – normalerweise musste sie um diese Zeit erst ihre Pflichten im Haushalt erfüllen, und dazu gehörte es, draußen Wasser zu holen, um dann die Krüge, Becher und Teller vom Abend zu reinigen. Jetzt aber stapelten sie sich auf der anderen Seite der Halle neben einem Bottich. Libuse ahnte, dass auch die täglichen Waffenübungen mit Kurzschwert, Bogen und Armbrust heute ausfallen würden.
    Sie hatte erwartet, dass die beiden Männer erst die üblichen Höflichkeiten austauschen oder über Vergangenes sprechen würden. Doch Albertus verschwendete keine Zeit, nachdem er erst seine Füße in Richtung der Flammen ausgestreckt hatte. Von nahem wirkte er nicht mehr ganz so leichenhaft, kaum älter als ihr Vater, mit wachen braunen Augen, die blitzschnell jede Einzelheit der Umgebung registrierten. Der Feuerschein spiegelte sich auf seinem kahlen Haupt; wenn er sich bewegte, sah es aus, als stünde sein Schädel in Flammen.
    » Ich brauche deine Hilfe «, sagte er, ohne den Becher heißen Mets anzurühren, den Libuse ihm hingestellt hatte. Corax hingegen leerte den dampfenden Trunk wortlos bis zur Hälfte.
    » Das dachte ich mir «, sagte ihr Vater und leckte sich die Lippen. » Warum sonst solltest du nach all den Jahren hier auftauchen. «
    Albertus sah zu Libuse herüber, die es sich im Schneidersitz auf den Fellen bequem gemacht hatte und sich ganz darauf konzentrieren musste, seinem stechenden Blick standzuhalten. » Vielleicht sollten wir diese Sache unter vier Augen besprechen. «
    » Ich habe keine Geheimnisse vor meiner Tochter «, sagte Corax, und dafür hätte sie aufspringen und ihn umarmen mögen. » Was du zu sagen hast, soll auch sie hören. «
    » Ganz wie du willst. « Albertus stützte seine Ellbogen auf die Stuhllehnen und bildete mit den Händen ein Dreieck zu beiden Seiten seiner Nase. » Vor mir liegt eine weite Reise, Corax. Eine Reise in den Osten. Und ich möchte dich bitten, mich zu begleiten. «
    Libuses Hände krallten sich vor Aufregung in die Felle unter ihr. Eine Reise! Sie hatte sich noch nie weiter als einen Tagesmarsch vom Turm entfernt, und auch Corax war nie länger als einige Stunden von hier fort gewesen. Um nichts in der Welt würde er eine Nacht in den dunklen Wäldern verbringen.
    Sie hatte vehementen Widerspruch erwartet, doch zu ihrem grenzenlosen Erstaunen blieb ihr Vater ruhig. » Nein «, sagte er knapp.
    » Hör mich erst an «, verlangte Albertus und massierte sich die Nasenflügel. » Du weißt, was ich meine, wenn ich Osten sage. Du weißt es, weil ich sonst nicht zu dir gekommen wäre. «
    Libuses Blick zuckte von dem seltsamen Mönch zurück zu ihrem Vater. Schweiß auf Corax ’ Stirn? Er hob den Metbecher und trank den Rest in einem Zug. Sie dachte nicht daran, ihn ein zweites Mal zu füllen, auch wenn er das vielleicht erwartete. Nicht so früh am Morgen.
    » Ich gehe nicht von hier fort «, sagte Corax, nachdem er sich mit dem Handrücken über den Mund gewischt hatte.
    » Verlange nicht von mir, eine Schuld einzufordern «, sagte Albertus, und nun lenkte nichts mehr

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