Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
sich weit weniger Menschen aufhielten als unweit des Thronsaals. Die Wände waren hier nicht mehr so schmuckvoll verziert, und es roch sonderbar. Während anderswo Fackeln und offene Kaminfeuer loderten, brannten hier in weiten Abständen einsame Öllampen und spendeten trübes Halblicht. In der Ferne hörte sie sonderbare Laute, die fast wie Geschrei klangen. Animalisches Kreischen.
Wenig später verlor sie den Wesir aus den Augen. Zu Hause im Wald hätte sie seine Fährte lesen können, doch hier, auf den blanken Fußböden, gab es keinerlei Anhaltspunkte.
Sie bog um eine Ecke, und mit einem Mal stand da jemand vor ihr.
» Libuse «, zischte eine Stimme. » Folge mir. «
Es war die Edle Zubaida, wie üblich ganz in Schwarz gekleidet, und ehe Libuse eine Frage stellen konnte, entfernte sie sich schon durch einen Korridor. Der Gang dieser Frau hatte etwas Gespenstisches an sich, fand Libuse, so als würden ihre Füße niemals den Marmor berühren.
Durch eine hohe Tür glitt sie in eine düstere Kammer. Libuse folgte ihr zögernd. Sie kannte die Geheimnisse dieses Palastes nicht, und erst recht nicht die seiner Bewohner. Mochte der Teufel wissen, welche Allianzen hier wer mit wem geschlossen hatte.
» Schließ die Tür «, sagte Zubaida.
Libuse tat es. » Was wollt Ihr von mir? «
» Du verfolgst den Wesir. «
» So? «
» Verschwende nicht unser beider Zeit, Mädchen. Ich weiß es, weil ich das Gleiche getan habe. «
Libuse sah sie schweigend an, aber durch die Schleier und im schwachen Licht der Öllampe war es unmöglich, die Gesichtszüge der alten Frau zu erkennen.
» Er plant, deinen Vater zu beseitigen «, sagte Zubaida.
Libuse blieb äußerlich gefasst. » Wagt er es wirklich, sich so offen gegen den Kalifen zu stellen? «
Zubaida stieß einen leisen Seufzer aus. » Mein Sohn ist schwach. Jeder, der Augen im Kopf hat, weiß das. Er hätte sich schon vor vielen Jahren von Abu Tahir abwenden sollen, damals, als diese Sache mit deiner Mutter geschehen ist. Aber Abu Tahir hat eine flinke Zunge und er ist nicht dumm. Er weiß, wie man meinen Sohn von einer Sache überzeugen kann. Und ich fürchte, es wird ihm auch diesmal wieder gelingen. Natürlich nur, solange es keine Beweise gibt, die ihn in eine direkte Verbindung zum Tod deines Vaters und der Mongolenprinzessin bringen. «
» Ihr scheint Euch sehr sicher zu sein. «
» Ich habe meine Quellen. «
» Was für Quellen sind das? « Libuse versuchte zu vergessen, dass es die ehrwürdige Mutter des Kalifen war, mit der sie sprach.
» Ich kenne die Männer, die den Mord für ihn durchführen werden. Sie waren selbst einmal hochrangige Hauptleute der Armee, und heute sind sie Minister. Das gibt ihnen Motive genug, auch ohne Abu Tahirs Anstiftung, einen, nennen wir es, Widerwillen gegen deinen Vater und die Mongolin zu entwickeln. Einfache Handlanger würde man nach Hintermännern befragen – diese drei aber sind selbst Intriganten und Drahtzieher. Der Wesir wird sie wohl gleich nach der Tat hinrichten lassen, vermute ich. «
» Drei Männer? «, fragte Libuse ohne große Überraschung.
» Du hast sie gesehen. Vorhin, in der Halle. «
» Das erklärt noch nicht, woher Ihr diese Pläne kennt. «
» Im Bett reden alle Männer. Alles eine Frage der Kunstfertigkeit. « Ihr Lachen klang wie knisterndes Pergament. » Schau mich nicht so an. Ich rede nicht von mir, dummes Kind! Aber vergiss nicht, ich bin die Gebieterin des Harems. Damit habe ich weit größere Macht, als manch einer vermuten mag. «
» Ihr habt Mätressen Eures Sohnes auf die Verräter angesetzt? «
» Es gibt keine besseren Spione, glaub mir. Sie haben nur einen Nachteil: Um zu beweisen, was ich weiß, müsste ich die Namen der Mädchen offenbaren – und was sie getan haben, um an ihre Kenntnisse zu gelangen. Das aber würde ihre sofortige Hinrichtung bedeuten … «
» Die Eunuchen würden sie töten «, sagte Libuse, » ich weiß. Keine Frau aus dem Harem des Kalifen darf sich einem anderen Mann hingeben. «
» So ist es. « Zubaida senkte die Stimme, und nun lag eine unvermutete Wärme darin. » Diese Mädchen sind für mich wie Töchter, auch wenn ich sie das nicht oft spüren lasse. «
» Und was erwartet Ihr von mir? «
» Nur das, was jede Tochter für ihren Vater tun würde. «
Zubaida trat näher an sie heran, bis Libuse sah, wie sich ihr Schleier beim Sprechen bewegte. » Beschütze ihn. Wenn es irgendwen gibt, der den Untergang der Stadt noch aufhalten kann, dann
Weitere Kostenlose Bücher