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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ist er es. Er ist ein guter Mann. Einen Besseren hat es hier in vielen Jahren nicht gegeben. «
    Und während Libuse sich noch über die tiefe Zuneigung im Tonfall der Edlen Zubaida wunderte und sich zugleich erinnerte, dass sie selbst vorhin ganz ähnliche Worte gebraucht hatte, liebevolle Worte, huschte die alte Frau bereits an ihr vorbei und wurde eins mit der Dunkelheit des Korridors.
    *
    Aelvin schrieb mit einem Griffel auf das feine Pergament seines Codex. Die Spitze kratzte über die Oberfläche, aber er spürte es kaum, so kalt waren seine Finger. Um den Griffel richtig zu halten, hatte er den rechten Handschuh abstreifen müssen, und nun nahm seine Haut allmählich die Farbe von totem Fisch an. Seine Schrift wurde immer eckiger, und manchmal drückte er so fest auf, dass die Spitze tiefe Furchen hinterließ. Das kleine Feuer, dass er auf dem Steinboden vor sich entfacht hatte, war fast niedergebrannt. Lange würde er bei dieser Kälte nicht mehr durchhalten.
    Während der drei Tage, die Favola und er bereits in diesem Turm festsaßen, war kaum etwas geschehen, das sich aufzuschreiben lohnte. So war er bald dazu übergegangen, auch die Geschehnisse vom Beginn ihrer Reise niederzuschreiben, die Schlittenfahrt über den gefrorenen Rhein, den Aufenthalt in Regensburg, die Bootsfahrt über die Donau und den Angriff auf die Silberfeste.
    Seit er auf Libuses Veranlassung hin begonnen hatte, die Ereignisse in seinem Büchlein festzuhalten, verspürte er meh r u nd mehr einen befremdlichen Zwang dabei, so als schriebe er all das tatsächlich für kommende Generationen nieder. Obwohl, so dachte er düster, es doch sehr viel wahrscheinlicher war, dass das Buch mitsamt diesem Turm schon bald ein Raub der Flammen wurde.
    Seit sich der Feuerring über den gesamten Horizont erstreckte, war die Sicht auf die Vorstädte immer schlechter geworden. Manchmal trieb der Wind fettige schwarze Wolken über die Runde Stadt hinweg und hüllte die Türme in Finsternis. Auch das Atmen fiel dann schwer und zwang Aelvin, Favola und die anderen Flüchtlinge hinab ins Innere des Gebäudes, wo sie sich Tücher vor Nase und Mund pressten, bis die Luft wieder aufklarte.
    Im Augenblick aber stand der Wind günstig. Der Brandgeruch war zwar allgegenwärtig, doch die Sicht reichte ein gutes Stück über die Festungsmauern hinweg. Die Feuer waren abermals näher gerückt, vor allem im Norden und Osten, den Hauptstoßrichtungen des mongolischen Heeres. Manchmal trugen die Winde auch vielstimmige Schreie heran und erinnerten sie alle daran, dass dort draußen nicht nur die Häuser brannten.
    » Du musst etwas essen «, sagte Favola. Er hatte sie nicht kommen hören und sah nur zögernd von seiner Arbeit auf. Es war Nacht geworden, auf Favolas Wangen lag eine unverhoffte Röte. Das Bündel mit dem Luminaschrein trug sie auf ihrem Rücken.
    » Suppe? «, fragte er.
    » Heißes Wasser mit … etwas «, gab sie schulterzuckend zurück.
    Seit drei Tagen aßen sie nichts anderes – Wasser und irgendetwas –, aber vermutlich war das noch mehr als das, womit sich viele der Menschen unten in den Gassen den Magen füllten. Er hätte dankbar sein müssen, auch dafür, dass der Turm ihnen so etwas wie Sicherheit bot und die anderen Flüchtlinge , die sich hier verbarrikadiert hatten, ihnen nicht als Feinde begegneten. Die Angst vor dem gnadenlosen Gegner jenseits der Mauern schmiedete selbst so unterschiedliche Menschen wie die beiden Novizen und zwei Araberfamilien zusammen.
    » Ich komme gleich rein «, sagte er und suchte in Gedanken nach dem Ende des Satzes, den er gerade begonnen hatte.
    » Du solltest drinnen schreiben. Dort ist es zumindest ein bisschen wärmer. «
    » Ich kann nichts aufschreiben, wenn all diese Kinder durcheinander schreien. «
    » Sie haben nur Angst «, sagte Favola sanft. » Genau wie wir. «
    Er seufzte, klappte das Buch zu und schenkte ihr ein Lächeln, von dem er nicht sicher war, ob sie es im Schein der fernen Feuer sehen konnte. » Du hast ja Recht. «
    Sie streckte ihm eine Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen – er lehnte mit dem Rücken an der Brüstung der Turmplattform –, doch als er sie gerade ergreifen wollte, fiel ihm sein Handschuh ein, und er streifte ihn rasch über, bevor sie sich berührten.
    » Meiner hätte gereicht «, sagte sie, nachdem er vor ihr stand. » Außerdem glaubst du doch nicht an die Todsicht. «
    Er wollte abermals lächeln, doch seine Züge waren so kalt, dass sie sich anfühlten wie steif

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