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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gefroren. » Lass uns zusehen, dass wir noch was von der Suppe bekommen. «
    Sie nickte, blieb aber stehen und sah hinaus auf den brennenden Horizont. Der Anblick wäre überwältigend schön gewesen, hätte sich dahinter nicht ein solches Grauen verborgen.
    » Weißt du, was seltsam ist? «, fragte sie unvermittelt.
    Er drehte sich um und schaute nun ebenfalls über die glutfarbenen Türme und Kuppeln der Moscheen. » Was? «
    » Dort draußen herrscht Krieg, aber wir hören nichts außer den Schreien. Kein Schwerterklirren, keine Pferdehufe, kei n D onnern von Belagerungsmaschinen. Nichts von all dem, wie eine Schlacht eigentlich klingen müsste. Nur Todesschreie. «
    » Weil das da draußen keine Schlacht ist, sondern ein Massaker. « Er wollte so etwas nicht sagen, aber da war es schon heraus. » Vielleicht gibt es außerhalb der Mauern schon lange niemanden mehr, der kämpfen kann. «
    Sie schwieg einen Moment, aber ihr Gesicht verriet keine Regung. » Wir jedenfalls sterben noch nicht «, sagte sie schließlich. Er wusste, was sie meinte. » Nicht, bevor ich Gabriel von Goldau getötet habe. «
    *
    Die Wölfe hatten mehr Angst vor dem Feuer als er, und dennoch führten sie ihn in die Nähe der Brände.
    Er bewegte sich mit der Nacht und dem Qualm der lodernden Palmenhaine und Dörfer.
    Lange war er am Ufer des Tigris geblieben, bis die Reiter aufgetaucht waren, erst eine Vorhut, dann immer mehr – Hunderte, schließlich Tausende –, die von Osten heranpreschten und begannen, ein mächtiges Heerlager am Wasser zu errichten. Sie nutzten den Fluss, bevor er weiter nach Bagdad fließen konnte, löschten damit ihren Durst und den ihrer kleinen, stämmigen Pferde.
    Verborgen im Gestrüpp hatte er beobachtet, wie in kürzester Zeit ein Meer aus Jurten und Zelten entstand. Schwer zu sagen, ob es an seinen Rändern noch weiterwuchs, oder ob seine Ausdehnung zum Stillstand gekommen war. Fest stand, dass sich dieses Lager nun zwischen Gabriel und der Stadt befand und ihm den Weg zur Lumina versperrte, zu dem Mädchen und zu den Menschen, die er mehr hasste als alles andere auf der Welt.
    Mehr noch als die Schlange.
    Er blickte mit ihren Augen in die Welt, sah mit ihren Augen das Leid der Bewohner Bagdads. Ihn erfüllte nichts als Kälte. Selbst sein Hass fühlte sich eisig an.
    Er ritt auf dem größten der Wölfe, dem Rudelführer. Die dunklen Wolfsaugen waren matt geworden, die Lider entzündet und geschwollen. Einige der anderen zogen Pfoten nach, so lange, bis sie zurückfielen und starben oder von den Übrigen getötet wurden. Der Leitwolf war ein mächtiges Tier, unter dessen Fell sich steinharte Muskelstränge bewegten. Doch auch er hatte Angst wie sie alle, leckte sich die Genitalien, wenn er sich unbeobachtet fühlte, oder kratzte sich die Flanke blutig. Gabriel fand sich widerstrebend mit der Tatsache ab, dass der Rudelführer womöglich bald nicht mehr von Nutzen sein würde – wenn erst die anderen erkannten, wie es um ihn stand, würde einer von ihnen ihn zum Kampf fordern oder aber sie würden ihn gemeinsam davonjagen, fort in die Wildnis, wo er verkommen und schließlich an seiner eigenen Tollheit zugrunde gehen würde.
    Kein Wolf hatte jemals einen Menschen auf seinem Rücken reiten lassen – keiner, von dem Gabriel je gehört hatte –, doch dieser tat es, denn er sah in ihm keinen Mann, sondern nur die Schlange: das tückische, giftige Geschöpf, das der Wolf noch aus den Wäldern kannte, kriechend, weil die Last seiner Bösartigkeit es schon zu Anbeginn der Zeit in den Schmutz gezwungen hatte, wo es nach Pfoten biss und im Verborgenen lauerte. Nichts kann tiefer sinken als die Schlange, das wusste auch Gabriel. Manchmal, in seinen wenigen menschlichen Momenten, fühlte er die panischen Gedanken des Leitwolfs wie seine eigenen, und er fragte sich, ob es umgekehrt genauso war.
    Dann aber ergriff die Schlange die Macht über ihn, so wie sie es einst auch mit Oberon getan hatte, und er spürte nichts als Verachtung und den Wunsch, zu vernichten. Fort war die Neugier, die Furcht, der Schatten jeden Mitleids mit den Wölfen. Er erinnerte sich nicht mehr daran, dass sie eins t s eine Freunde und nicht seine Sklaven gewesen waren. Er war durchdrungen von reptilienkalter Wut.
    Die Krieger entdeckten ihn, als er sich den Ausläufern Bagdads bis auf ein paar Steinwürfe genähert hatte. Er ritt im Schutz schwarzer Rauchschwaden, pirschte mit den Wölfen durch die Nacht. Späher bemerkten das Rudel und starben.

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