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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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hinübergelaufen, hätte ihn an den Schultern gepackt und durchgeschüttelt, bis er zur Vernunft kam.
    Einen Krieg gewinnt man nicht mit Vernunft.
    Ganz sicher aber auch nicht mit toten Befehlshabern.
    » Ich danke dir für deine Fürsorge, Abu Tahir «, presste Corax zwischen den Zähnen hervor, und jeder wusste, was er tatsächlich dachte, » aber mein Entschluss steht fest. «
    Wieder stieß der Kalif ein Seufzen aus. Mittlerweile beschränkten sich seine Beiträge während solcher Besprechungen vor allem auf Bekundungen seiner Resignation. » So warte zumindest ab, bis die Sonne untergegangen ist. In der Dunkelheit dürfte es leichter fallen, ohne allzu großes Aufsehen durch die Gassen zur Mauer zu gelangen. «
    Corax schien widersprechen zu wollen, gab dann abe r n ach. » Einverstanden «, stimmte er zu, und einige der Hauptleute rund um den Tisch atmeten auf. Der Wesir jedoch wirbelte mit wehendem Umhang herum und verließ den Saal.
    Libuse musste sich zügeln, um nicht aufzuspringen und ihn vor allen Anwesenden anzuklagen. Doch wer würde ihr glauben? Solange Zubaida die Mädchen aus dem Harem nicht als Zeuginnen benannte, hatte Libuse keine Beweise in der Hand. Und selbst sie waren keine ausreichende Handhabe, denn das Wort des Wesirs wog zweifellos schwerer als jenes einer Mätresse.
    Sie stand auf und überlegte noch, wie sie Corax von seinem Vorhaben abbringen könnte, als ihr die Lösung wie von selbst in den Sinn kam. Der Schlüssel war nicht ihr Vater, denn sie kannte seinen Dickkopf. Es war Abu Tahir selbst, bei dem sie ansetzen musste.
    Mit einem Mal wusste sie, was die Edle Zubaida ihr hatte sagen wollen, als sie das Schwert in ihre Kammer bringen ließ.
    Der Wesir musste sterben.
    Und Libuse war diejenige, die die Tat vollbringen sollte.
    *
    Diesmal ließ sie sich nicht abschütteln.
    Lautlos folgte sie Abu Tahir durch die weitläufigen Korridore des Palastes. Durch lichte Säulenhallen mit gläsernen Decken; vorbei an Käfigen mit exotischen Vögeln; über Balkone im Freien, von denen aus man über die Gärten zur Mauer des Palastgeländes blicken konnte, scharf umrissen vor dem Inferno aus Rauchfahnen in der Ferne. Sie verfolgte ihn über Treppen so breit wie steinerne Flüsse, dann wieder durch schmale Flure, in denen jedes Geräusch von dicken Wandteppichen verschluckt wurde.
    Schließlich verließ er den Palast durch eine Seitentür und trat hinaus in die Gärten, umrundete mehrere Gebäudeflügel und erreichte einen kleinen Platz vor einem hohen, fensterlosen Anbau. Aus dessen Innerem drang das entsetzliche Kreischen, das Libuse schon einmal vernommen hatt e I n den Platz mündete ein gepflasterter Weg, der rechts und links von Käfigen aus Eisen flankiert war. Hinter den Gitterstäben drang vielstimmiges Fauchen und Grollen hervor. Noch während Libuse hinter dichtem Buschwerk in Deckung ging, sah sie, woher die Geräusche rührten.
    Der Wesir gab einem Mann, der gerade mit einem Reisigbesen einen leeren Käfig ausfegte, einen Wink. Sogleich machte sich der Knecht davon. Der Wesir zog einen Schlüsselbund hervor, öffnete ein anderes Gitter und trat ein paar Schritte zurück.
    Ein gewaltiger Löwe, weiß wie frisch gefallener Schnee, trottete knurrend aus den Schatten eines Käfigs hervor ans rauchgeschwängerte Tageslicht, glitt in einer fließenden Bewegung die kurze Rampe hinunter und gesellte sich in der Mitte des Weges zum Wesir. Zutraulich rieb er seine Flanke an der Hüfte des Mannes. Abu Tahir vergrub eine Hand in der langen Mähne und kraulte das Tier, als wäre es ein zahmer Hofhund.
    Libuse nahm die Hand vom Knauf ihres Schwertes. Sie war drauf und dran gewesen, den Wesir zu stellen, doch mit einem solchen Untier konnte sie es nicht aufnehmen. Sie kannte Bestien wie diese nur aus den Erzählungen ihres Vaters und den ungenauen Illuminationen seiner Bücher; die Ähnlichkeit mit dem lebenden Löwen war vage, aber gerade eben groß genug, um sie erkennen zu lassen, um welche Art von Raubkatze es sich handelte. Sie wusste, dass ein Mensch keine Chance gegen die Urgewalt eines solchen Giganten hatte.
    Stimmen ließen sie aufmerken. Rasch zog sie sich noch tiefer ins Gebüsch zurück. Auf der anderen Seite des Platzes waren dieselben drei Männer erschienen, die sie bereits am Vortag mit Abu Tahir gesehen hatte. Sie trugen weite dunkle Gewänder, einer in Rubinrot, die beiden anderen in Schwarz und Purpur. Sie erstarrten, als sie des Löwens gewahr wurden. Der Älteste unter ihnen,

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