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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Noch heute Nacht. «
    » Aber du kannst nichts sehen «, sagte die Stimme des Wesirs so schneidend, dass selbst der Kalif zusammenfuhr. Abu Tahir hatte die missliche Angewohnheit, immer dann aufzutauchen, wenn man ihn am wenigsten gebrauchen konnte. In schneeweißen Gewändern ragte er hinter den anderen Hauptleuten empor, und sogleich schufen sie bereitwillig einen Gang für ihn. Ohne sie eines Blickes zu würdigen, trat er an das Modell und starrte Corax über die Dächer Bagdads hinweg an.
    Corax ’ Gesicht wandte sich in seine Richtung. Libuse war immer wieder erstaunt, wie perfekt ihn sein Gehör reagieren ließ. Auch sie musterte Abu Tahir von der Seite, und ihre Hand glitt unmerklich an den Griff des Kurzschwertes, das sie in der vergangenen Nacht in ihrer Kammer gefunden hatte. Ein Geschenk der Edlen Zubaida. Es war eine filigrane Klinge, in die wundersame arabische Schriftzeichen eingeätzt waren. Der Griff war so leicht, dass sie sein Gewicht kaum in der Hand spürte. Nie zuvor hatte sie eine schönere Waffe gesehen.
    » Es geht nicht darum, den Feind zu sehen «, sagte Corax frostig, » sondern ihn zu fühlen. «
    Einige der Hauptleute nickten beipflichtend, was den Wesir fraglos noch mehr aufbrachte.
    » Lasst mich zu bedenken geben, dass es gefährlich sein könnte, die Runde Stadt zu durchqueren. « Abu Tahir sah in die Runde. Schließlich verharrte sein Blick auf dem Kalifen.
    » Die Menschen in den Gassen sind aufgebracht und suchen die Schuld für ihr Leid nicht nur bei den Mongolen. Unsere Truppen werden beim Marsch durch die Stadt regelmäßig von Aufrührern angegriffen. Unseren obersten Heerführer einer solchen Gefahr auszusetzen halte ich, mit Verlaub, für unbedacht. «
    Al-Mutasim wandte sich an Corax. » Aus den Worten des Wesirs scheint mir Vernunft zu sprechen. «
    » Einen Krieg gewinnt man nicht mit Vernunft «, entgegnete Corax. » Auch nicht mit Vorsicht oder Zaudern. Es bleibt dabei. Noch heute werde ich auf die Mauer steigen. «
    Libuse beobachtete erst mit Erstaunen, dann mit einer düsteren Ahnung, wie sich das Gesicht des Wesirs verfinsterte.
    » Es ist Torheit, sage ich! Wir brauchen unseren Heerführer hier im Palast, nicht auf den Zinnen. Was willst du dort tun, Corax? Mit Pfeil und Bogen auf die Mongolen schießen? «
    Alle im Saal hielten den Atem an.
    Doch dann tat Abu Tahir etwas, das die meisten überraschte.
    » Verzeih, Corax «, entschuldigte er sich. » Ich wollte dich nicht beleidigen. Meine Worte habe ich aus Sorge gewählt, nicht aus Feindschaft. «
    Corax ’ Miene blieb starr, auch als der Wesir fortfuhr:
    » Wir mögen uns nicht, Corax, wohl wahr, aber du bekleidest jetzt ein wichtiges Amt. Das Wohl Bagdads ruht auf deinen Schultern. Das ist eine große Verantwortung, und du solltest sie nicht für eine kindische Idee aufs Spiel setzen. Es ist gefährlich dort draußen. Ich will nicht zusehen müssen , wie der aufgebrachte Pöbel den höchsten Befehlshaber unseres Heeres steinigt. Ob es mir gefällt oder nicht – daran hängt unser aller Wohlergehen, nicht nur das deine. «
    Zustimmung machte sich unter den übrigen Hauptleuten breit. Auch der Kalif schien angetan von den Worten seines Wesirs.
    Libuse aber ballte die Fäuste. Wenn Abu Tahir sich öffentlich so besorgt zeigte, dann womöglich nur, um seine Hände später in Unschuld waschen zu können, falls ihrem Vater tatsächlich etwas zustieß. Nach dieser Rede würde kein Verdacht mehr auf ihn fallen – denn war nicht er es gewesen, der alles versucht hatte, um Corax von Wildenburg von seinem Leichtsinn abzubringen?
    Heute also!, durchfuhr es Libuse. Sie werden versuchen, ihn heute zu töten, wenn er den Palast verlässt! Eine bessere Möglichkeit würde sich ihnen kaum bieten. Die drei Mörder konnten sich mühelos unter die Menge mischen und nach der Tat untertauchen.
    Libuse hatte versucht, ihren Vater zu warnen, gleich nach ihrem Gespräch mit Zubaida. Unter vier Augen hatte sie ihm erzählt, was die Haremsmädchen in Erfahrung gebracht hatten, und ihn angefleht, keine Risiken einzugehen. Er aber hatte nur abgewinkt. » Dort draußen gibt es wahrscheinlich zwei Dutzend Männer, die mich lieber heute als morgen tot sehen würden «, hatte er gesagt. » Und dass Abu Tahir ruhiger schliefe, wenn ich nicht mehr am Leben wäre, ist beileibe auch keine Neuigkeit. « Immerhin hatte er ihr versprochen, sein Leben nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
    Und nun das!
    Am liebsten wäre sie zu ihm

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