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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Papierseiten, die auf den ascheschwarzen Wogen des Tigris trieben. Shadhan hatte vor seiner Abfahrt Befehl gegeben, die Bibliothek zu vernichten – was ihm selbst nicht von Nutzen war, sollte auch keinem anderen mehr zugute kommen. Weil es für den nahe gelegenen Palast zu gefährlich gewesen wäre, die Bibliothek kurzerhand in Brand zu stecken, hatte Shadhan angeordnet, all ihre Schätze zum Fluss zu transportieren und in die Fluten zu werfen. Es war eine grausame Tat, und Doquz hatte versprochen, ihr Bestes zu tun, um zu bewahren, was noch zu retten war; Sinaid a h atte ihr besonders die Rettung des Jungen Harun ans Herz gelegt.
    Kurz hinter Basra hatte das Schiff, ein arabischer Boum mit ockerfarbenem Dreieckssegel, das offene Meer erreicht und Fahrt aufgenommen. Im Gegensatz zu abendländischen Schiffen war ein Boum an Bug und Heck identisch gebaut: Beide Enden ragten hoch empor, geschwungen wie eine doppelschneidige Axt. Die Planken waren nicht genagelt, sondern wurden nach althergebrachter Bauweise mit Seilen aus Kokosfasern verbunden. Auf Aelvin hatte das zu Anfang nicht allzu Vertrauen erweckend gewirkt, doch schließlich hatte er eingesehen, dass ein Schiffstyp, der offenbar seit Jahrtausenden so und nicht anders gebaut wurde, keine allzu schlechte Sache sein konnte.
    Genau genommen war es ihm gleichgültig, womit sie sich über die See bewegten – Hauptsache, die Reise auf dem Wasser nahm bald ein Ende. Sein Magen, das wusste er jetzt, war eindeutig der eines Landbewohners. Sollte es je Seeleute unter seinen Ahnen gegeben haben, dann war ihr Erbe im Laufe der Generationen verloren gegangen. Die ersten drei Tage auf offener See verbrachte er an der Reling oder auf seinem Lager unter Deck. Er wollte sich zusammenreißen, wollte es wirklich, gerade angesichts dessen, was Favola durchmachte; doch es gelang ihm nicht. Er wollte bei ihr sein, auf sie Acht geben, doch sein Körper ließ ihm keine Gelegenheit dazu. Die meiste Zeit über fühlte er sich zu erbärmlich, um überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen.
    Favolas Zustand hatte sich verschlechtert. Mit jedem Tag wurde sie schwächer. Es war bewundernswert, wie sie sich dennoch aufrecht hielt und viel Zeit an Deck verbrachte, trotz der eisigen Winde, mit denen das Schiff und seine persische Besatzung zu kämpfen hatten. Favola saß am Bug, in Decken gewickelt, und starrte hinaus über die Weite des Golfs. Man konnte ihr ansehen, dass sie die Stunden zählte. Sie schie n s icher zu sein, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb, um die Lumina zurückzugewinnen und an ihrem Ursprungsort einzupflanzen. Es war, als nähme sie Abschied von der Welt, genieße noch einmal ihre Wunder und sauge den Anblick dieser wogenden Unendlichkeit in sich auf.
    Am dritten Tag auf See passierten sie die küstennahe Insel Bahrain, das fruchtbarste Stück Land weit und breit, bedeckt mit Hainen aus Dattelpalmen. Hier nahmen sie noch einmal Frischwasser, Ziegenfleisch und Ballen aus Datteln an Bord, nahmen dann Kurs nach Südosten und umrundeten die Nordspitze der Halbinsel Qatar. Die Jahreszeit war ungünstig für eine Fahrt durch den Golf von Arabien, erklärte der Kapitän, denn von Oktober bis März weht der Wind in Richtung Westen, und das bereitete den Seeleuten die größten Sorgen. Dass Shadhans Schiff zweifellos mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, war nur ein schwacher Trost.
    Gemessen am Zeitpunkt ihrer Abfahrt hatte ihr Feind fast zwei Tage Vorsprung. Doch auf See war das kaum von Bedeutung. Eine andere Windrichtung, ein Unwetter oder eine Flaute mochten seinen Vorteil in Windeseile verringern – oder vergrößern. Zwar besaß er die Karte, doch Albertus hatte die Schrift auf der brüchigen Haut noch in der Bibliothek entziffert und ausführlich studiert; zudem hatte er sie mit anderen, neueren Beschreibungen der Gegend und den detaillierten Küstenkarten der arabischen Seefahrer verglichen. Tatsächlich war er der Überzeugung, weit besser auf das letzte Stück ihres Weges vorbereitet zu sein als Shadhan, dessen gesamtes Wissen auf dem Gefasel des wahnsinnigen Gabriel gründete.
    Der Magister wusste, wo ihr Gegner an Land gehen würde. Er hatte ebenfalls vor, die Küste im Süden des Arabischen Golfs anzulaufen, ein namenloser Landstrich, der sich als endlose Sandwüste jenseits der See erstreckte. Zu Lebzeiten des Jüngers hatte dort eine Siedlung existiert, doch auf den neueren Karten, die Albertus eingesehen hatte, war davo n n ichts mehr zu finden. Auch

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