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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sich einen Narren. Er glaubte nicht an die Todsicht, hatte es nie getan. Sonst hätte er gar nicht hier sein dürfen. Alles passte zusammen. Sie und er allein in einer Landschaft aus Sand, und ein Dritter, der ihrer beider Leben bedrohte. Noch konnte alles geschehen, wie sie es prophezeit hatte.
    Der monumentale Felsriese nahm jetzt die Hälfte des Himmels ein. Die Abendsonne versank allmählich jenseits der Wüste und übergoss die Landschaft mit blutrotem Feuer. Es wurde schnell kälter, dunstige Atemwolken standen vor ihren Lippen. Zwischen den Dünen verdichtete sich die Dunkelheit, und es wurde immer schwerer, von weitem die Schatten der heraufziehenden Nacht von den Gebilden aus geborstenem Glasgestein zu unterscheiden.
    Aelvin verlor jedes Zeitgefühl.
    Eine ganze Weile später passierten sie das finstere Monument und waren noch immer auf keinen Hinweis gestoßen, wohin sie eigentlich unterwegs waren. Shadhans Spur hatten sie längst verloren, aber das war keine Überraschung. Der Wind und die Dämmerung taten das ihre, seine Fährte zu verschleiern.
    Favola schleppte sich tapfer vorwärts, aber sie hatte nicht mehr die Kraft, zu sprechen. Schweigend erkämpften sie sic h j eden Hang und jede Senke. Falls ihre Orientierung ihnen keinen Streich spielte, bewegten sie sich noch immer schnurgerade vorwärts. Hinter ihnen, wo der Himmel bereits tiefschwarz und mit dem Horizont verschmolzen war – noch hatten die Sterne zu wenig Macht, um dagegen anzustrahlen –, glaubte Aelvin ab und an ein helles Glühen zu erkennen. Wie abgesprochen hatten die anderen ein Signalfeuer entzündet, das aber nur zu sehen war, wenn die beiden Wanderer den höchsten Punkt einer Düne erreichten. Selbst dann schoben sich manchmal Erhebungen davor, so als stiegen die Sandwogen zur Nacht hin an wie das Meer beim Wechsel von Ebbe zu Flut.
    Sie hatten den finsteren Koloss längst hinter sich gelassen, als sie über den Rand des ersten Tals stolperten. Aelvin konnte Favola gerade noch festhalten, beinahe hätte sie das Gleichgewicht verloren und wäre abgestürzt.
    Unvermittelt öffnete sich vor ihnen ein Abgrund, der auf den ersten Blick bodenlos erschien, sich aber bei genauerem Hinsehen nur in Schatten hüllte. Die Kante war messerscharf, der Hang dahinter fast senkrecht. Erst weiter unten ging er in eine gemächliche Schräge über, die von allen Seiten sanft zum tiefsten Punkt des Bodens abfiel. Genau wie Albertus es vorhergesagt hatte, war der Rand von dunklem Gestein umgeben. Unzählige Sandstürme hatten den Grund des Tals mit einer puderigen Schicht bedeckt und jeden Hinweis auf seine ursprüngliche Tiefe getilgt; seinem steinernen Umriss im Dünenmeer aber hatten die Winde nichts anhaben können. Festgebacken wie geronnenes Blut lag der Ring aus geschmolzenem Sand um die Senke. Von einer Seite zur anderen mochte sie sechzig oder siebzig Schritt messen.
    » Wer außer Gott könnte so etwas vollbringen? «, hauchte Favola ganz nah bei seinem Ohr. » Als hätte eine riesige Faust auf die Erde geschlagen. « Ihre Stimme war bar jeder Betonung, so gleichförmig wie das Säuseln des Wüstenwindes.
    Der Boden der Senke war leer, soweit sich das im schwächer werdenden Licht erkennen ließ. Aelvin führte Favola an dem felskrustigen Rand entlang, dann weiter nach Südwest. Keine zwanzig Schritte später stießen sie auf das nächste Tal, kleiner im Umfang, aber ebenso tief. Danach folgte ein drittes. Aelvin stellte sich diese Landschaft aus großer Höhe vor: wie ein Schneefeld, in das der Funkenflug eines Lagerfeuers Pockennarben geschmolzen hatte.
    Die Sonne war längst untergegangen, als sie das vierte Tal erreichten. Aelvin schätzte, dass mehr als drei Stunden vergangen waren, seit sie aufgebrochen waren. Gemessen an ihrer gesamten Reise erschien eine solche Strecke verschwindend klein. Inmitten dieser Wüste aber, mit der todkranken Favola im Arm, bedeutete sie eine nicht enden wollende Tortur.
    Das vierte Tal war größer als die bisherigen. Die andere Seite war ebenso schwarz wie der Nachthimmel über der Wüste, doch das erste Sternenlicht brach sich als schimmerndes Band auf dem Kraterrand aus Glasgestein und erlaubte ihnen eine vage Orientierung.
    Inmitten der Senke brannte ein Lagerfeuer.
    Daneben saß im Schneidersitz eine einsame Gestalt, verlassen wie ein Einsiedler im Zwiegespräch mit Gott und den Geistern der Vergangenheit. Der weiße Stoff seines Gewandes spannte sich über seinen knochigen Knien.
    Es war unmöglich,

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