Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
sich unbemerkt an Shadhan heranzuschleichen, und aus einer sonderbaren Eingebung heraus, die mit der Abgeschiedenheit dieses Ortes zu tun haben mochte, erschien es Aelvin auch nicht mehr wichtig. Stattdessen half er Favola über die Felskante und eine natürliche Rampe aus Sand hinunter. Erst schlitternd, dann immer sicherer erreichten sie den Grund des Tals.
Langsam schleppten sie sich auf den Lichtkreis des Feuers zu. Favola wurde immer schwerer in seinem Griff, aber noc h l ieß sie nicht zu, dass er sie trug. Am Ende ihrer Reise wollte sie auf eigenen Füßen stehen.
Shadhan bemerkte sie, als sie nur noch wenige Schritte entfernt waren. Er hob den Kopf und blickte ihnen entgegen. Flammenschein zuckte über seine eingefallenen Züge. Der Weg hierher hatte auch in dem Gesicht des alten Mannes tiefe Spuren hinterlassen. Neben ihm, am Rand dieses Tümpels aus Helligkeit, lag umgekippt und nutzlos der leere Luminaschrein.
Stumm deutete er auf etwas neben sich am Boden. Es sah aus, als schaute dort die Hand eines Toten aus dem Sand, kraftlos zur Seite gesunken, mit gekrümmten, starren Gliedern.
Beinahe liebevoll berührte Shadhan die welken Blätter der Pflanze. Seine Finger sahen kaum lebendiger aus, ausgedorrt und krank.
» Ihr kommt zu spät «, sagte er. » Die Lumina ist gestern gestorben. «
SEELEN IM SAND
L i buse beobachtete Sinaida und fragte sich, was sie vorhatte. Seit über einer Stunde hatte sich die Mongolin nicht bewegt. Starr stand sie an der Grenze zum Wüstenherz und blickte hinaus in die Nacht. Ihr Gesicht war verdüstert von Enttäuschung und Zorn. Bis zum Aufbruch der beiden hatte sie alles getan, damit Favola so schnell wie möglich zur Lumina gelangen konnte. Nun aber widmete sie sich wieder ihren eigenen Plänen. Ihr Schwur, Shadhan zu töten, hatte nach wie vor Bestand.
Der Schamane hatte den Lagerplatz für die Nacht entheiligt. Traumversunken hockte er am Rand des Feuerscheins, umgeben von tönernen Schalen, in denen duftende Kräuter brannten. Er versuchte, dem Weg der Auserwählten kraft seines Geistes zu folgen. Ob er tatsächlich sah, wie es Aelvin und Favola gerade erging? Vielleicht war es müßig, darüber nachzudenken, doch der Gedanke übte eine ungebrochene Faszination auf Libuse aus, überschattet nur von ihrer Sorge.
Die Qurana waren von den Dünen herabgekommen, hatten ihre Stelzen abgelegt und scharten sich nun um zahlreiche kleine Feuer. Sie trugen weite Gewänder aus gebleichter Wolle und Schnürstiefel aus Ziegenfell. Ihre Kopftücher hatten sie bei Sonnenuntergang abgenommen. Die meisten Gesichter darunter waren hager und bärtig, gezeichnet von den Entbehrungen des Lebens in der Wüste. Ihre Stelzen unterschieden sic h s ehr von jenen, die Libuse daheim bei den Gauklern gesehen hatte. Diese hier waren sonderbare Konstruktionen aus Holz und Tierknochen; die Gebeine schienen vor allem der Zierde zu dienen. Es musste schwierig sein, damit das Gleichgewicht zu halten und nicht im Sand einzusinken. Jenen aber, die sich auf den Umgang damit verstanden, schienen sie zu einem Teil ihres Körpers zu werden, so leichtfüßig liefen sie damit.
Hinter der nächsten Düne röhrten und brummten die Kamele des Stammes. Die Tiere der Gefährten lagen unweit des Signalfeuers im Sand, noch immer gesattelt, aber von der Last des Gepäcks und der Vorräte befreit. Die Bogenschützen hatten ihre Waffen abgelegt und wärmten sich gemeinsam mit den Stelzenläufern an den Feuern.
Libuse blickte auf, als Sinaida sich unverhofft in Bewegung setzte. Die Mongolenprinzessin ging zum Signalfeuer hinüber. Erst machte sie ein paar Schritte auf den Schamanen zu, schien ihn dann aber nicht in seiner Versunkenheit stören zu wollen. Stattdessen setzte sie sich zu einem der Schwertträger, mit dem sie sich schon während des Ritts unterhalten hatte. Die beiden Männer hockten im Schneidersitz beim Feuer und wärmten sich die Hände.
Libuses Blick suchte Albertus, der auf der anderen Seite des Feuers saß. Nur hin und wieder erkannte sie sein Gesicht jenseits der Flammen, glutbeschienen und in Gedanken versunken. Seine Wut auf die Qurana war ungebrochen, und er haderte mit dem Schicksal, nicht auf eigene Faust ins Herz von Eden vorzustoßen.
Libuse ließ sich im Sand nieder. Selbst mehrere Schritt vom Feuer entfernt war noch ein Hauch seiner Wärme zu spüren. Ihr war trotzdem kalt, doch das hatte nichts mit der frostigen Wüstennacht zu tun.
Plötzlich wurden Rufe laut.
Sinaida war von ihrem
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