Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Mann ließ ihr keine Wahl.
Pfeile zuckten von den nahen Dünenkämmen herüber und bohrten sich keine Armeslänge entfernt in den Sand. Der Qarin schrie wutentbrannt einen Befehl in die Nacht hinaus, und sogleich brach der Beschuss ab. Beinahe wäre der Mann von den Pfeilen seiner eigenen Leute getroffen worden.
Sinaida sprang vor, wortlos, mit aufeinander gepressten Lippen. Er wehrte ihren Schlag ab, aber genau das wollte sie. Für einen Sekundenbruchteil konzentrierte er sich ganz auf ihre Klinge – und übersah ihren Fuß, der auf sein rechtes Knie zuraste. Der Schmerz ließ ihn abermals aufbrüllen, dann brach er mit einem Keuchen zusammen. Sinaida hätte Gelegenheit gehabt, ihm den Schädel zu spalten, doch sie tat es nicht.
Erneut fuhr sie herum und rannte. Noch wenige Schritte. Vor sich sah sie zahllose Fußspuren im Sand. Hier hatten sie Abschied von Favola und Aelvin genommen. Der Weg dorthin war frei.
Aber sie hatte ihren Gegner unterschätzt. Das Leben in der Wüste, bestimmt von einer uralten Aufgabe, hatte ihn gelehrt, mit Schmerz umzugehen. Das geprellte Knie hielt ihn nich t a uf, schon war er wieder auf den Beinen und folgte ihr. Auch aus anderen Richtungen stürmten jetzt Qurana mit gezogenen Schwertern herbei, zu weit entfernt, um eine Gefahr für Sinaida zu bedeuten. Aber falls es ihm noch einmal gelang, sie aufzuhalten und in ein Gefecht zu verwickeln, würden die anderen sie erreichen.
Sie verfluchte die Tatsache, dass sie keinen von ihnen töten konnte, ohne Libuse und Albertus zu gefährden. Selbst ihre Flucht bedeutete ein Wagnis und mögliche Konsequenzen für die beiden. Aber dieses Risiko musste sie eingehen.
Für Shadhan.
Für Khur Shah.
Etwas traf sie im Nacken. Als ihre Füße den Halt im Sand verloren und sie vornüberstürzte, erkannte sie, dass es der Knauf eines Schwertes war. Der Mann hatte die Waffe hinter ihr hergeschleudert.
Keuchend fiel sie vornüber. Sand drang in ihren Mund. Hände krallten sich in ihr langes Haar. Sie warf sich herum. Ein Fußtritt traf ihre rechte Hand und trat das Schwert aus ihren Fingern.
Sie knurrte ihren Gegner an, als er sie hochzerrte.
Sie hätte ihn töten können. Sie hätte sie alle töten können.
Zwei Krieger führten Albertus den Hang herab auf sie zu, mit gezogenen Schwertern, die auf die Brust des Magisters wiesen.
» Hol euch alle der Teufel! «, fauchte sie und gab ihre Gegenwehr auf.
Der Mann, mit dem sie gekämpft hatte, schob sie den Hang hinauf zurück zum Feuer. Pfeile an gespannten Bogensehnen zielten in ihre Richtung, aber niemand tat ihr etwas zuleide. Nicht einmal Beschimpfungen kamen über die Lippen ihres Gegners. Stumm ging er neben ihr her, hielt sie am Unterarm fest, trug in der anderen Hand sein Schwert.
Der Schamane war aus seiner Ekstase erwacht und erwartete sie. Er saß noch immer im Schneidersitz an derselben Stelle. Um ihn herum war der Sand zerwühlt, wo er mit den Händen gescharrt und um sich getreten hatte. Seine Miene war unergründlich, der Blick seines einen Auges getrübt; er schien sich teils in dieser, teils in der Welt der Geister zu befinden. Der Mann, dem sie das Schwert abgenommen hatte, saß noch immer bei ihm, besorgt wie ein Sohn um seinen Vater. Er schüttelte enttäuscht den Kopf, als Sinaidas Blick den seinen kreuzte.
» Setz dich «, befahl ihr Bewacher auf Arabisch. Sie gehorchte. Albertus wurde neben sie gebracht und ließ sich ebenfalls im Sand nieder, unweit des Schamanen, der sie weiterhin wortlos betrachtete.
» Tut mir Leid «, flüsterte sie dem Magister zu, aber das war nicht die Wahrheit, und er wusste es.
» Wahrscheinlich musstest du es versuchen «, gab er zurück. » Ich wünschte, ich hätte den Mut und die Fähigkeit dazu. «
» Werden sie uns töten? «
Er erwiderte den rätselhaften Blick des Schamanen. » Ich denke nicht «, sagte er leise. » Aber zumindest ein Gutes hatte die ganze Aufregung. «
Es dauerte einen Moment, ehe sie das zaghafte Lächeln um seine Mundwinkel entdeckte. Suchend blickte sie sich um.
Libuse war fort.
*
Aelvin und Favola traten in den Lichtkreis des Feuers. Es schien keine Wärme zu spenden. Die Äste, die Shadhan dafür aufgeschichtet hatte, musste er außerhalb des Talrunds ausgegraben haben, denn am Grunde des Kraters war der Boden spiegelglatt. Die einzigen Spuren waren ihre eigenen und jene des Nizariweisen, halb zugeweht im Sand.
» Ich habe sie eingepflanzt «, sagte Shadhan und sah noc h i mmer keinen der beiden an. » Im
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