Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Platz am Feuer aufgesprungen. In ihrer Hand lag das blankgezogene Schwert des Qarin.
*
Sinaida handelte schnell, aber nicht unbedacht. Sie durfte jetzt keinen Fehler machen. Nichts überstürzen.
Gezielt schleuderte sie die leere Schwertscheide in das Gesicht des zweiten Wächters. Einen Augenblick lang war er abgelenkt. Beide Männer waren im Vergleich zu den anderen Qurana groß und breitschultrig, doch der Gewandtheit einer Nizari hatten sie nichts entgegenzusetzen.
Geschrei hob an. An den Feuern zwischen den Dünen entstand Bewegung.
Die beiden Qurana redeten zornig auf Sinaida ein, doch sie hörte nicht auf das, was sie sagten. Ihr Blick huschte umher, erfasste jede Regung in der Dunkelheit.
Noch zwanzig Schritt von hier bis zu der Stelle, an der sich Aelvin und Favola von ihnen getrennt hatten. Dahinter lag das Nichts des Wüstenherzens, und irgendwo in seinem Zentrum – Shadhan.
Zumindest den Bogenschützen bot sie in der Dunkelheit ein schlechtes Ziel. Sie hatte die vergangene Stunde damit verbracht, sich die Positionen der einzelnen Lagerfeuer einzuprägen. Das Signalfeuer, neben dem sie jetzt stand, befand sich auf dem Kamm der Düne. Alle übrigen lagen weiter unten, teils verborgen hinter Sandwellen. Die wenigsten Schützen hatten von ihren Plätzen aus eine ungehinderte Sicht auf Sinaida, geschweige denn ein freies Schussfeld. Sie hatten die Plätze für ihre Feuer unbedacht gewählt und würden einander im Weg sein, wenn erst alle gleichzeitig aufsprangen.
Der Qarin, dessen Schwert sie gestohlen hatte, fluchte, während der zweite seine Klinge blankzog. Die leere Scheide hatte ihn am linken Auge getroffen, das Unterlid schwoll an. Im Kampf würde das seine Sicht behindern.
Es wäre sicherer gewesen – und zweifellos ganz nach Art der Nizaris –, beiden Männern die Kehlen durchzuschneiden , bevor sie ihre Flucht fortsetzte. Aber sie wollte niemanden töten, nicht einmal ernsthaft verletzen. Selbst wenn es ihr gelänge, die unsichtbare Grenze zu überschreiten, wären Libuse und Albertus noch immer in der Gewalt der Qurana.
Ein gellender Schrei ertönte.
Für einen Augenblick war Sinaida abgelenkt. Drei, vier Atemzüge lang legte sich Schweigen über das Lager, alle Bewegungen erstarrten. Dutzende Augenpaare richteten sich auf den Schamanen, dessen Mund noch immer weit aufgerissen war, auch wenn jetzt kein Laut mehr über seine Lippen kam.
Unvermittelt begann er zu zittern und zu zucken. Unter den weiten Gewändern bebte sein dürrer Leib. Ruckartig sackte sein Oberkörper nach vorn, erstarrte für ein paar Herzschläge, dann verfiel er erneut in unkontrollierte Bewegung, so als zerrten ihn Geisterhände zugleich in alle Richtungen.
Seine beiden Bewacher blickten einen Moment lang unschlüssig von ihrem Anführer zu Sinaida. Im Dunkel zwischen den Feuern knirschten Bogensehnen, doch es war nicht zu erkennen, ob sie gespannt wurden, oder ob einige der Qurana vor Entsetzen die Waffen sinken ließen.
Wieder brüllte der Schamane, gefangen in der Geisterwelt. Was sah er, das ihn derart mit Grauen erfüllte? Geschah etwas mit Aelvin und Favola? Mit Shadhan? Gar mit der Lumina selbst?
Sinaida zögerte nicht länger und rannte los.
Der Mann mit dem Schwert schnellte ihr nach. Während sein Gefährte auf den tobenden Alten zustürmte, folgte der bewaffnete Qarin ihr den Dünenhang hinab. Sinaida war flinker als er und unter normalen Umständen sicherlich schneller. Hier draußen aber, in der Wüste, war er im Vorteil. Er kannte das Verhalten des Sandes und wusste genau, auf welcher Höhe eines Hangs er weicher wurde und einen beim Laufen behinderte.
Er holte sie am Fuß der Düne ein, auf halber Strecke zu r G renze des Wüstenherzens. Sein zorniges Brüllen warnte sie, als er mit dem Schwert ausholte und im Lauf nach ihr schlug. Sie duckte sich unter der Klinge hinweg und wirbelte herum, denn sie wusste, dass es keinen Zweck mehr hatte, vor ihm davonzulaufen. Hatte ein Gegner erst einmal aufgeschlossen, konnte man ihn nur noch besiegen, sonst lief man Gefahr, dass einem seine Klinge den Rücken oder die Kniekehlen aufschlitzte.
Funken schlagend hieben ihre Klingen aufeinander. Er war geübter mit dem breiten Krummschwert seines Stammes. Zweimal, dreimal trafen sich klirrend ihre Schwerter, dann prallten sie auseinander und verharrten für einen Augenblick. Verbissen starrten sich die beiden Gegner an.
Sinaida wollte nicht kämpfen. Sie wollte keinem der Qurana ein Haar krümmen. Aber der
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