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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ihn wie ein Tonnengewicht in die Tiefe zerrte. Jede Bewegung, jedes Augenzwinkern mochte ihm den sicheren Tod bringen.
    » Ich … kann nicht «, brachte er irgendwie hervor. » Alles … stürzt ein … «
    » Das wird es nicht «, entgegnete Albertus.
    Aelvin glaubte ihm kein Wort, und alle frommen Verse, die er je gelernt hatte, drängten zugleich in sein Bewusstsein, überfluteten ihn mit flehentlichen Bitten und allen nur erdenklichen Schwüren, fortan ein guter und gerechter Diener des Herrn zu sein, wenn dieser ihn nur … ja, wenn er ihn aus dieser misslichen Lage befreite.
    » Aelvin! «
    Eine Stimme, dann ein Gesicht, gleich vor ihm. Favola s Z üge schälten sich aus dem Dunkel, schwebten federleicht im fahlen Winterlicht, das durch das Loch im Boden heraufschien.
    » Beeil dich! «, stöhnte er. » Verschwinde von hier! Hier wird gleich alles – «
    » Nein «, sagte sie sehr ruhig und mit solcher Überzeugung, dass ein wenig davon auf ihn abfärbte. » Es wird halten. Du wirst nicht abstürzen. Keiner von uns wird das. Die Lumina lässt das nicht zu. « Aelvin schaute ihr fest in die Augen und zog unendlich vorsichtig den Fuß zurück.
    » So ist es gut «, flüsterte Favola. » So ist es gut. «
    Er schob sich weiter, machte einen zittrigen Schritt über das kopfgroße Loch im Boden hinweg und erblickte durch die Öffnung einen Ausschnitt des Schneesturms, nicht den Grund der Schlucht, nicht die messerscharfen Klippen, nur den Schnee, und dabei war ihm, als führte die steinerne Röhre nun endgültig durch absolutes Nichts.
    Er wusste nicht, wie lange er weitergekrochen war – vermutlich nur ein, zwei Minuten, die ihm wie Stunden vorkamen –, als Favola vor ihm ein Keuchen ausstieß.
    » Was ist? «, fragte er mit schwacher Stimme. Um sie herum schien sich das Aquädukt zu schütteln wie ein Lebewesen, dem etwas im Hals feststeckte. Der Wind ließ die mürben Fugen der Ziegeln knirschen. Gebrannter Lehm rieb übereinander.
    » Knochen «, flüsterte Favola. » Hier liegen Knochen. «
    » Gott erbarme sich unser «, sagte Odo hinter ihm in der Dunkelheit.
    Aelvin schloss für einen Moment die Augen. Das mussten die Knochen des Mönchs sein. Also lag der Engpass gleich vor ihnen. Sie würden nicht weiter vorankommen. Blieb nur die Umkehr, zurück zu den Schergen des Erzbischofs.
    » Versperren sie den Weg? «, fragte Albertus.
    Aelvin konnte längst nicht mehr glauben, dass es sein eigener Vorschlag gewesen war, durch das Aquädukt zu klettern. Der Teufel musste in ihn gefahren sein. Der Antichrist selbst hatte sich seiner bemächtigt, um ihre Seelen zu verschlingen.
    » Nein «, rief Favola, und Aelvin hörte mit Grausen klappernde Laute, als sie die Gebeine beiseite stieß. » Sie sind zu klein. Von irgendeinem Tier. Einem Wolf, vielleicht. «
    Aelvin bezweifelte, dass das Mädchen je einen Wolf aus der Nähe gesehen hatte, geschweige denn wusste, wie sich im Dunkeln die Knochen von einem anfühlten. Aber es war ein gut gemeinter Versuch, sie zu beruhigen, und er wollte ja selbst daran glauben, wollte es wirklich.
    Er erreichte die Stelle als Nächster und stellte fest, dass Favola die Knochen nach rechts und links zur Seite geschoben hatte. Einige zerbrachen unter seinen Händen und Füßen, doch er kletterte mit zusammengebissenen Zähnen weiter.
    Er erwartete, dass der Tunnel enger wurde, doch das geschah nicht, was immerhin dafür sprach, dass wenig Wahres an der Geschichte vom eingeklemmten Mönch war.
    Die Schlucht hatte an dieser Stelle eine Breite von gut hundert Schritt. Aelvin kam es vor, als hätten sie bereits die fünffache Entfernung zurückgelegt. In Wahrheit war es vermutlich eher die Hälfte. Was bedeutete, dass sie sich dem höchsten Punkt über dem Boden näherten, genau in der Mitte des Aquädukts.
    Odo stieß erneut einen Schrei aus, aber diesmal folgte kein Fluch. Aelvin spürte, wie der Magister hinter ihm plötzlich verharrte.
    » Was ist? «, rief Aelvin über die Schulter.
    » Weiter «, kam Odos Antwort, aber sie klang so brüchig wie dünnes Eis auf einem Winterweiher. » Geht … weiter … «
    » Was ist los mit dir? « Aelvin schaute nach hinten. Dort aber war nichts als Finsternis. Lediglich den Magister konnte er als Andeutung eines menschlichen Umrisses erkennen.
    Ein Surren ertönte. Dann ein stumpfer Aufprall.
    Odo schrie abermals auf. Aelvin begriff, dass diesmal mehr als ein angestoßener Schädel dahinter steckte.
    » Odo! «
    » Sie schießen mit Pfeilen auf

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