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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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flüsterte er über die Schulter nach unten, dann stemmte er sich ächzend hinauf, zog beide Beine nach und versuchte, sich auf der Kante zu drehen, um mit den Füßen die Kletterkerben in der Außenseite zu erreichen.
    Vom Tor, verborgen hinter den schneebedeckten Dächern, ertönte wildes Gebrüll, vom Wind zu unverständlichen Silben zerrissen.
    Aelvin schloss die Augen. Sie hatten nur wenig Zeit. Schließlich ließ er sich einfach fallen und landete weich in den mannshohen Schneewehen, die der Wind über Wochen hinweg an der Mauer aufgehäuft hatte.
    Augenblicke später folgte ihm Favola, die Lumina fest in dem Bündel auf ihrem Rücken verschnürt. Zuletzt sprang Odo in die Tiefe, rappelte sich stöhnend auf und klopfte sich den Schnee vom Hinterteil. Ein strafender Blick von Aelvin machte ihm bewusst, dass dies weder der Ort noch der Zeitpunkt für Eitelkeit war.
    » Ihr wollt hinunter in die Schlucht? «, fragte Favola zweifelnd. Im Schneetreiben war es schwer, ihren Gesichtsausdruck zu deuten.
    » Nicht in die Schlucht «, sagte Aelvin. » Über sie hinweg. «
    Und er deutete hinüber zum römischen Aquädukt.
    » Irrsinn «, knurrte Odo. » Völliger Irrsinn. «
    » Es ist der schnellste Weg auf die andere Seite «, erklärte Aelvin beharrlich. » Wenn die Reiter uns zu Corax ’ Turm folgen wollen, müssen sie um die Schlucht herumreiten. Dabei verlieren sie mindestens zwei Stunden. «
    » Eine «, verbesserte ihn Odo.
    » Nicht bei diesem Wetter. «
    » Trotzdem, die – «
    Favola unterbrach sie, indem sie wortlos voran durch den Schnee stapfte. Die beiden Jungen wechselten einen Blick und folgten ihr. Kaum hatten sie die Wehe am Fuß der Mauer hinter sich gelassen, kamen sie schneller voran.
    Es waren keine zehn Schritt mehr bis zur Felskante und dem offenen Ende der Wasserleitung, als hinter ihnen ein dumpfes Geräusch ertönte. Panisch wirbelte Aelvin herum, aber es waren nicht die Männer des Erzbischofs, die ihnen auf den Fersen waren.
    Es war Albertus. Er saß inmitten der Schneewehe, um sich ausgebreitet den Mantel aus Fellflicken wie Schwingen einer abgestürzten Fledermaus. Stöhnend stemmte er sich auf die Beine.
    Aelvin wartete mit klopfendem Herzen, bis der Magister sie eingeholt hatte. Er rüstete sich für eine Ohrfeige oder einen kräftigen Tritt, wie der Abt sie häufig verteilte; doch Albertus musterte ihn nur stirnrunzelnd, sah dann zu Favola und Odo hinüber, schließlich zur Schlucht.
    » Wir müssen auf die andere Seite «, stellte er finster fest.
    » Als wüssten wir das nicht selbst «, knurrte Odo trotzig.
    » Wir bringen Favola zu einem Turm im Wald «, sagte Aelvin zu Albertus. » Dort lebt ein Ritter mit seiner Tochter. Vielleicht gewährt er uns – «
    » Corax «, sagte Albertus leise.
    » Ihr kennt ihn? «
    » In der Tat. « Der Magister ließ Aelvin stehen und lief auf die dunkle Höhlung des Aquädukts zu. Früher einmal hatte die Wasserleitung ohne Unterbrechung aus den Eifelbergen bis nach Köln gereicht, um die Bewohner mit frischem Quellwasser zu versorgen. Heute aber war sie längst in zahllose Teilstücke zerbrochen, von denen nur wenige erhalten geblieben waren; die Bauern der einsamen Gehöfte hatten die Steine abgetragen und daraus Häuser und Ställe errichtet. Auch im Kloster waren Teile verbaut worden, und so klaffte das Ende offen wie eine abgeschnittene Röhre. Das dunkle Loch war bis zur Mitte von einer lockeren Schneewehe verschüttet.
    » Wir müssen darüber laufen «, sagte Aelvin. » Wie über eine Brücke. «
    Albertus begutachtete das morsche, sandbraune Mauerwerk.
    » Wird sie uns alle tragen können? «
    » Nein «, sagte Odo überzeugt.
    » Wir wissen es nicht «, gab Aelvin zu.
    Favola, die wohl mehr um die Lumina fürchtete als um ihr eigenes Leben, lief an den dreien vorbei und erreichte als Erste das Ende des Aquädukts. Sie erklomm die Wehe und kehrte mit dem Arm Schnee von der Oberseite des Mauerwerks. Als sie sich zu den drei Mönchen umschaute, lag Verzweiflung in ihrem Blick.
    » Die Steine sind viel zu dick vereist! Wir werden abrutschen, wenn wir auch nur einen Schritt darauf machen. «
    Aelvin blickte zurück zur Klostermauer. Irgendwo dahinter waren die Reiter des Erzbischofs. Dieselben Männer, die ohne Skrupel einige Dutzend Nonnen hingeschlachtet hatten. Hier draußen an der Felskante wären sie ihnen ausgeliefert.
    Sie mussten sich beeilen.
    » Klettern wir hindurch «, beschloss er und stapfte zu Favola die Wehe empor. » Dann

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