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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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«
    » Wichtiger als du, als ich – wichtiger als jeder von uns. «
    » Euer Grünzeug ist mir egal. Ich werde nicht zulassen, dass – «
    Aber da sah er, wie sich Odo hinter dem Magister endlich in Bewegung setzte und Albertus ins Aquädukt folgte.
    Der Magister atmete auf, als er den Novizen in seinem Rücken hörte. » Gott sei Dank «, flüsterte er. » Und nun los, Aelvin Unglücksrabe, oder willst du länger an diesem gastlichen Ort bleiben als unbedingt nötig? «
    Aelvin schenkte ihm einen letzten zornigen Blick, dann wandte er sich nach vorn und kroch tiefer in die Dunkelheit. Nun, da sie zu dritt das Licht vom Zugang versperrten, war Favola nicht mehr auszumachen. Unmöglich zu sagen, ob sie direkt vor ihm oder schon zehn Schritt entfernt war.
    Odo stöhnte vernehmlich, als er sich den Kopf stieß. Er war von ihnen allen mit Abstand der Breiteste und Größte, und mehr noch als Aelvin oder Albertus hatte er Schwierigkeiten, sich in der Enge vorwärts zu bewegen.
    » Geht ’ s? «, rief Aelvin nach hinten.
    Odo murmelte etwas.
    » Weiter «, keuchte der Magister. » Beeilt euch! «
    Der Reiter musste das Aquädukt jeden Augenblick erreichen. Gewiss hatte er längst seine Gefährten herbeigerufen.
    Es war ein schrecklicher Weg, der vor ihnen lag. Die Enge war dabei noch das geringste Übel. Das Gestein war eiskalt und so rau, dass es ihnen die Knie und Handflächen aufriss.
    Hier und da fiel durch haarfeine Ritzen ein Hauch grauen Tageslichts, doch Aelvin wäre vollkommene Finsternis beinahe lieber gewesen, denn immer wenn von irgendeiner Seite Licht hereinfiel, wusste er, dass eine besonders brüchige Stelle vor ihnen lag.
    Doch nicht einmal das war das Schlimmste.
    Am furchtbarsten von allem waren die Bewegungen des Aquädukts. Der dunkle Tunnel bebte und zitterte um sie herum im Wind, der durch die Felsschlucht fegte. Es war, als hätte ein grässliches Getier sie verschluckt und verdaute sie nun ganz allmählich, saugte sie unaufhaltsam in die Tiefe seiner Eingeweide. Die Wände schienen sich um sie zu drehen und zu winden, während das Gestein immer lauter ächzte und schrie, je weiter sie sich vorwagten.
    Die Geschichten über das Aquädukt kamen Aelvin wieder in den Sinn. Die verbotenen Wetten im Dormitorium, ob das mürbe Bauwerk wohl noch diesen oder den nächsten Winter überstehen würde; die schreckliche Mär von dem Leichnam, der irgendwo verfault in seiner Mitte stecken sollte, weil der Schlauch dort so eng wurde, dass es weder Vor noch Zurück gab; das Geflüster über riesenhafte Ratten und noch grässlicheres Ungeziefer, das in der Röhre Unterschlupf suchte und dann und wann einen Novizen in seinen stinkenden Bau verschleppte und bei lebendigem Leib zerfleischte.
    Aelvin konnte sich auf Anhieb an ein halbes Dutzend solcher Geschichten erinnern. Und doch fiel ihm keine ein, in der mehrere Menschen zugleich ins Innere der Wasserleitung gekrochen waren – wohl weil die Vorstellung schlichtweg zu absurd war, um damit selbst die leichtgläubigsten unter den Novizen zu erschrecken. Niemand, der auch nur die Hälfte seiner Sinne beieinander hatte, ging ein solches Risiko ein.
    Etwas polterte, dann ertönten ein Aufschrei und ein Fluch. Odo hatte sich erneut den Schädel angestoßen. Aelvin hatte längst aufgehört, seine eigenen blauen Flecken zu zählen, gan z z u schweigen von den Abschürfungen an Beinen und Händen. Die Kälte betäubte seine Finger auf dem eisigen Gestein. Immerhin spürte er so den Schmerz der offenen Stellen nicht.
    Erneut setzte er einen Fuß nach vorn – und fühlte im selben Moment, wie der Stein unter ihm nachgab.
    Ein krächzender Schrei entrang sich seiner Kehle. Graues Zwielicht schlug ihm von unten entgegen, und er verspürte ein heftiges Würgen, als ihm klar wurde, dass sein Bein aus der Unterseite des Aquädukts ragte und über dem Abgrund baumelte, achtzig, neunzig Schritt über den Felsklippen und dem gefrorenen Wildbach an ihrem Grund.
    Sein erster Reflex war, den Fuß zurückzureißen. Doch die Taubheit, die seinen Körper mit einem Mal überfiel, verhinderte jede Bewegung. Um nichts in der Welt würde er sich auch nur einen Fingerbreit rühren. Das Mauerwerk könnte durch jede weitere Erschütterung vollends nachgeben.
    » Geh weiter «, forderte der Magister hinter ihm.
    Aelvin hörte es kaum. Alles um ihn drehte sich, wirbelte in einem Strudel aus Schwarz und Grau und dem Braun des Gesteins. Sein Magen war zu einem harten, eisigen Klumpen geronnen, der

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