Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
würde.
Libuses Schatten, bei diesem Licht ohnehin nur ein Hauch, war wie schwarzer Tran im Schneematsch versickert. Stattdessen erglühten die Risse und Spalten in der Baumrinde, aber auch im Boden zwischen den Wurzeln in einem geheimnisvollen inneren Licht. Es dauerte nicht lange, da brach der überirdische Schein wie die Strahlen einer aufgehenden Sonne aus Baum und Erdreich und erfüllte die Senke mit einer wohligen, durchdringenden Wärme.
Libuse kauerte inmitten dieser Lichterflut und bewegte sich nicht. Es war, als liebkosten die Strahlen sie, als wiegten sie sie wie die Arme einer Mutter in einen sanften, heilenden Schlaf.
Auch Albertus starrte nun hinüber, berührt und fasziniert zugleich. Selbst Corax, der das Licht nicht sehen konnte, spürte dessen lindernde Wärme; er hatte sein geschundenes Gesicht in jene Richtung gewandt, in der seine Tochter die Mächte der Erde und Wälder heraufbeschwor.
» Erdlicht «, flüsterte Albertus. » Der Letzte, den ich die magia naturalis wirken sah, brannte bald darauf auf dem Scheiterhaufen. «
Aelvin fuhr aufgebracht herum. » Dieses Licht wärmt uns! Es tut uns gut! Was habt Ihr daran auszusetzen? «
Der Magister schenkte ihm einen kurzen Blick, dann konzentrierte er sich wieder auf Libuse. Sie alle waren jetzt in den goldenen Schein des Erdlichts getaucht. Favola presste sich enger an Aelvin, was ein beinah ebenso sonderbares und fremdes Gefühl in ihm auslöste wie der magische Glanz aus dem Inneren des Eichenbaums. Sie hatte Angst und noch immer starke Schmerzen, doch zugleich schien auch sie zu wissen, dass dieses Licht ihnen nichts Böses wollte, ja, dass hier Mächte am Werk waren, die ihnen freundlich gesinnt waren. Aelvin sah, wie sich ihr Gesicht mit jedem Atemzug ein wenig mehr entspannte, bis der peinvolle Ausdruck in ihren Augen nahezu gänzlich verschwunden war.
Albertus löste Favola von Aelvin und setzte sie sanft auf einer Wurzel ab, weit genug von Corax entfernt, um sie vor weiteren Wutausbrüchen zu schützen.
Im Schein des Erdlichts versorgte er Favolas Pfeilwunde erneut, diesmal sehr viel sorgfältiger, und Aelvin wandte sich errötend ab, als Albertus den Oberkörper des Mädchens entkleidete, um den neuen Verband diesmal oberhalb ihrer Brüste bis zur rechten Schulter zu führen. Favola presste den Stoff ihres Gewandes mit dem gesunden Arm an sich, doch sie wirkte nicht halb so beschämt, wie sie in Anbetracht ihrer Blöße eigentlich hätte sein müssen. Das Erdlicht besänftigte jeden ihrer Sinne, und auch Aelvin spürte, wie sich Ruhe in ihm ausbreitete, seine Trauer um Odo linderte und die Angst vor Verfolgern minderte.
Corax schwieg die ganze Zeit über. Erst als Albertus Favola versorgt hatte und den alten Kämpen erneut ansprach, entrang sich seiner Kehle ein Knurren wie die Warnung eines gereizten Bluthundes.
» Lass mich deine Augen sehen «, bat Albertus.
» Kümmere dich erst um Libuse. «
Albertus sah über die Schulter auf das inmitten des Lichtscheins kauernde Mädchen. » Sie kümmert sich recht gut um sich selbst, wie mir scheint. « Er ging vor Corax in die Hock e u nd legte sich den Lederbeutel mit den Heilmitteln in den Schoß. » Deine Augen. Zeig sie mir. «
Noch einmal zögerte der Mann, dann öffnete er den Knoten der Binde. Er gab keinen Laut von sich, als er den Stoff von den klebrigen Brandwunden löste. Keine Regung in seinem Gesicht, kein Zucken. Der oberflächliche Schmerz war nichts gegen jenen, der in seiner Seele tobte.
Aelvin stieß die Luft aus, als er das breite Band aus verbrannter Haut um die Augenpartie des Ritters sah. Favola, die wieder vollständig angekleidet war und ihren eigenen Schmerz erstaunlich gut verkraftete, entfuhr ein leises Stöhnen.
Albertus ’ Augen verengten sich nur für die Dauer eines Herzschlags, dann wühlte er hastig in seinem Heilerbeutel.
Die Haut unter Corax ’ Binde war rot und rußig. Brandblasen glänzten nässend und sahen aus wie geschwollene Tränensäcke. Die Augen selbst waren kaum zu erkennen, zwei enge Schlitze inmitten fleischiger, entzündeter Wülste. Mit der Binde hatte Corax an mehreren Stellen Hautfetzen abgerissen, doch es trat kein Blut aus, so als hätte es sich gänzlich aus dem Gesicht des Kriegers zurückgezogen.
» Kannst du noch irgendetwas erkennen? «, fragte Albertus, während er ein kleines Tongefäß entkorkte und Zeige- und Mittelfinger in eine grünliche Salbe tauchte.
» Einen hellen Schimmer «, antwortete Corax. » Sonst
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