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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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presste ein paar Blätter aus dem Lederbeutel auf die schmale Wunde und befestigte sie provisorisch mit einem Verband, den er drei Mal unter ihrer Achsel hindurchzog und schließlich über der Schulter verknotete.
    » Für den Moment muss das reichen «, sagte er, nachdem er ihr Gewand und den Mantel wieder gerichtet hatte.
    » Ich kann das Bündel mit der Pflanze nehmen «, bot Aelvin an.
    » Nein «, sagte Albertus energisch, während er den Rest des Verbandes zurück in den Beutel stopfte und ihn unter seinem Fellumhang verschwinden ließ. » Der Riemen wird die Kräuter fester auf die Wunde drücken. Sobald wir im Warmen und Trockenen sind, kann ich die Verletzung besser versorgen und ihr einen richtigen Verband anlegen. «
    Favola hob zitternd die rechte Hand und zerrte Aelvins Mantelsaum aus ihrem Mund. Sie spuckte und hustete, stöhnte bei der ersten Bewegung ihres Oberkörpers schmerzerfüllt auf, ließ sich dann aber von den beiden auf die Beine helfen.
    » Du kannst laufen, Mädchen «, sagte Albertus in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. » Du musst es nur wollen. «
    Aelvin war empört. » Aber sie ist – «
    » Ihre Schulter ist verletzt, nicht ihre Beine «, entgegnete der Magister hart. » Uns bleibt nicht viel Zeit. «
    Aelvin wollte aufbegehren, doch dann sah er ein, dass Albertus Recht hatte. Sie mussten weiter. Am Waldrand entdeckte er wieder die Gestalt von vorhin. Erst jetzt, als seine Sorge um Favola ein wenig nachließ, wurde ihm klar, wer das fremde Mädchen war.
    » Libuse? «, flüsterte er tonlos.
    » Kommt jetzt! «, befahl sie und verschwand abermals.
    Albertus nickte. » Folgen wir ihr. «
    » Was ist mit den Männern des Erzbischofs? «, fragte Aelvin, während er Favolas unverletzten Arm um seine Schulter legte. Ein dankbares Lächeln flackerte über ihre bleichen Züge. Schneeflocken hingen in ihren Wimpern, obwohl sie die Kapuze wieder tief ins Gesicht gezogen hatte.
    » Wie viele hast du noch gesehen, nachdem das Aquädukt eingestürzt ist, Junge? «, fragte Albertus kurz, während sie sich auf die Bäume zuschleppten. Er überließ es Aelvin, Favola zu stützen. Tatsächlich schien er trotz allem, was geschehen war, wieder tief in Gedanken versunken. Aelvin mochte ihn immer weniger.
    » Nur einen «, antwortete Aelvin widerwillig, nachdem er sich die Szene noch einmal vor Augen geführt hatte. Erneut kam der Schmerz über Odos Tod in ihm auf, und er war froh, als Albertus nur nachdenklich nickte und keine weiteren Fragen stellte. Stumm weinte Aelvin, während er Favola half, die Distanz bis zum Wald zu überwinden. Erst nach wenigen Schritten wurde ihm bewusst, dass sie tröstend auf ihn einflüsterte, ungeachtet ihrer Schmerzen.
    Libuse erwartete sie im Schutz der vorderen Bäume. Bei jeder anderen Gelegenheit hätte ihre Anwesenheit Aelvin wie ein Blitzschlag getroffen, doch jetzt, nach Odos Tod und Favolas Verwundung, erschien ihm ihre Nähe nur noch halb so außergewöhnlich.
    Dann sah er ihr Gesicht.
    Auch Albertus hatte es bemerkt. » Gott, Mädchen, was – «
    Sie aber schüttelte nur den Kopf und lief voraus. Trotz des grauen Winterlichts hatte der kurze Moment ausgereicht, um Einzelheiten zu erkennen: Libuses Gesicht war auf der linken Seite blau angelaufen. Eines ihrer Augen war geschwollen, und von ihrem rechten Mundwinkel reichte ein getrockneter Blutfaden hinab zum Kinn. Sie bewegte sich langsam und schien Schmerzen zu haben.
    » Was ist mit ihr passiert? «, entfuhr es Aelvin, so als müsste Albertus eine Antwort darauf wissen.
    Der Magister gab keine Antwort. Sein Mienenspiel verriet, dass sich zu all seinen anderen Sorgen gerade eine weitere gesellt hatte.
    Sie folgten Libuse tiefer in die Wälder. Von dem riesenhaften Keiler war nichts mehr zu sehen, nicht einmal Spuren im Schnee.
    » Ist das der Weg zu Corax ’ Turm? «, fragte Albertus.
    » Vielleicht «, gab Aelvin zurück. Sein Atem dampfte in kurzen, heftigen Stößen vor seinem Gesicht empor. Er war erschöpft von der Kletterei im Aquädukt, von Panik und Furcht. Favola war nahezu federleicht, doch weil sie so eng beieinander gingen, war es doppelt schwierig, Libuses Pfad durch das Unterholz zu folgen. Ständig stieß einer von ihnen gegen Baumstämme oder verhedderte sich in Zweigen. Albertus ging jetzt hinter ihnen, und Aelvin war froh, ihn für eine Weile nicht mehr sehen zu müssen. Libuse hingegen lief weit voraus, ein Schemen hinter Schneefall und Ästen, und Aelvin folgte irgendwann nur noch

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