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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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anderen endete es an einer zerfaserten Risskante. Irgendwann einmal war die Karte offenbar in mehrere Teile zerrissen worden, und das, wie es schien, recht achtlos.
    Im Schreibsaal der Mönche waren Aelvin bislang mehrere Sorten von Karten unter die Augen gekommen. Zum einen so genannte Portulane, die vor allem in der Schifffahrt eingesetzt wurden: Sie zeigten die Küstenverläufe einzelner Länder und Meere, manchmal gar in Form einer mappae mundi die drei Kontinente, aus denen sich die bekannte Welt zusammensetzte. Portulanen besaßen ein größeres Format als Albertus ’ Karte, waren nicht so schmal und länglich, und es gab sie in vielerlei Ausführung: manche sehr detailliert – oder eher fantasievoll –, andere grob, wahrscheinlich aber akkurater, was den wahren Wissensstand der Kartographen betraf.
    Die zweite Sorte von Karten umfasste solche, die Reisende zu Land benutzten. Sie wurden oft auf die Bedürfnisse Einzelner zugeschnitten, hatten wenig mit echter Kartographie gemein und gaben zuweilen nur grobe Hinweise auf Himmelsrichtungen. Eine solche Karte konnte auf der linken Seite in Rom beginnen und auf der rechten in Nordafrika enden, während alle Straßen dorthin scheinbar horizontal verliefen. Ihr Wert lag in den zahllosen Einzelheiten, die zu beiden Seiten der Wege eingezeichnet wurden: Gasthöfe, Burgen, Schutzhütten oder Bauernhöfe waren mit dem Hinweis vermerkt, ob der Reisende dort ein warmes Willkommen erwarten konnte. Zugleich warnten diese Karten auch vor Gefahren, etwa vor Gebieten, in denen Gesetzlose ihr Unwesen trieben, oder vor Festungen, deren argwöhnische Besitzer jeden Fremden ers t e inmal in den Kerker warfen. Bei Pilgerkarten wurde großer Wert darauf gelegt, Gebetsstätten, klösterliche Hospize oder Orte heiliger Erscheinungen zu verzeichnen; Händlerkarten hingegen markierten vor allem Märkte oder besonders reiche Gemeinden.
    Alle diese Karten, ganz gleich ob Portulan, mappae mundi oder Reisekarte, waren in der Regel geostet, denn im Osten befand sich nach christlichem Glauben das Paradies. Dieses wurde meist am oberen Rand der Karte eingezeichnet, begrenzt von einem undurchdringlichen Flammenwall. Es handelte sich, darüber waren sich die Mönche im Skriptorium einig gewesen, um eine sinnbildliche Tradition, denn das wahre Paradies erwartete den Gläubigen erst im Himmel, nicht auf Erden. Aelvin fragte sich, wie sich diese Aussage wohl mit Albertus ’ Behauptungen vertrug.
    Die Karte, die der Magister vor ihnen ausgebreitet hatte, war eine wunderliche Mischung aus allen drei üblichen Kartenstilen. Zudem war sie ganz offensichtlich von jemandem geschaffen worden, der weder kalligraphisches Talent noch geographische Kenntnisse besaß.
    » Dies, meine Freunde «, sagte Albertus mit gesenkter Stimme , » ist die Karte, die der Jünger einst von seinen Reisen angefertigt hat. «
    Aelvin hob zweifelnd eine Braue und streckte die Fingerspitzen nach der Rolle aus. » Das hier soll über zwölfhundert Jahre alt sein? «
    Der Magister schlug ihm klatschend auf die Finger, als hätte er ihn beim Kuchendiebstahl ertappt. » Natürlich nicht. Das hier ist eine Kopie. Das Original ist verschollen und wahrscheinlich längst zu Staub zerfallen. Aber selbst diese Kopie ist mehrere hundert Jahre alt und nicht für die schmutzigen Hände eines nichtsnutzigen Jungen bestimmt! «
    » Wenn sie nicht für uns bestimmt ist, warum zeigt Ihr sie uns dann? «, fragte Libuse trotzig. Aelvin konnte kaum fassen , dass sie tatsächlich Partei für ihn ergriff. Bislang hatte sie ihn vor allem beschimpft oder gänzlich links liegen lassen.
    Albertus achtete nicht auf ihren Tonfall. » Seht euch die rechte Seite an. Die Karte ist zerrissen worden, vermutlich schon vor sehr langer Zeit. Ich kenne die ungefähre Richtung unserer Reise, nicht aber den genauen Endpunkt. Saphilius hat mir vor meiner Abreise nach Frankreich Nachricht zukommen lassen, dass er ein zweites Stück entdeckt hat. Er vermutet, dass es insgesamt drei oder mehr davon gibt. « Albertus senkte die Stimme zu einem Flüstern, sodass keiner der anderen Gäste ihn hören konnte. » Saphilius bewahrt sein Teilstück in Regensburg auf. Dorthin werden wir als Nächstes gehen – es liegt ohnehin auf unserem Weg. «
    » Wie weit reicht Euer Teil der Karte? « Aelvin beugte sich tiefer über den Tisch, um die winzigen Beschriftungen zu lesen. Der horizontale Verlauf der Wege sagte ihm auf den ersten Blick überhaupt nichts.
    Blitzschnell zog

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