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Das Büro

Das Büro

Titel: Das Büro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.J. Voskuil
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und hob langsam den Arm. „Sie mögen doch Weißwein?“, fragte er, sich Maarten zuwendend, während der Kellner zu ihnen unterwegs war.
    „Gerne.“
    Der Kellner blieb an ihrem Tisch stehen.
    „Hebt gij voor ons een fles Chablis
?“,
fragte Vanhamme ihn auf Flämisch und sah zu ihm auf.
    „Eine Flasche Chablis“, wiederholte der Kellner auf Deutsch.
    „Er hat Sie verstanden“, sagte Maarten amüsiert, als er sich entfernt hatte.
    „Habe ich Niederländisch gesprochen?“
    Maarten lachte.
    „Die meisten verstehen uns, und sei es, weil sie im Krieg bei Ihnen oder bei uns gewesen sind.“
    Sie schwiegen. Auf dem Platz vor ihrem Fenster gingen die Straßenlaternen an. Am Himmel war noch etwas Licht. Der Kellner brachte zwei Gläser. Er zeigte Vanhamme das Etikett, entkorkte dieFlasche und schenkte ihm einen kleinen Schluck ein. Vanhamme kostete andächtig. „Gut“, sagte er und sah hoch. „Danke.“ Als der Kellner ihre Gläser eingeschenkt hatte und ihnen die Flasche in einem kleinen Kübel mit Eis auf den Tisch stellte, hob Vanhamme sie noch einmal hoch, betrachtete das Etikett und ließ sie wieder in den Kübel sinken. „Für meinen Magen ist das die beste Medizin.“ Er führte das Glas zum Mund und nahm einen vorsichtigen Schluck. „Gut.“ Er sah Maarten an. „Kennen Sie das Borms-Gedicht von Willem Elsschot?“
    „Ja.“ Er versuchte, sich daran zu erinnern, doch ihm fielen nur die Zeilen ein:
Du blöder Kerl mit deinem Bart,/dürr im Geist, doch dichtbehaart
– die er intuitiv verwarf – „aber ich kann mich nicht genau erinnern.“
    „Es fängt folgendermaßen an“ –, er drückte seine Zigarre sorgfältig aus und beugte sich zu Maarten herüber. „
Mein kühner alter Freund, gekannt hab ich dich nicht,/doch tatst du für die Niederlande deine Pflicht,/das weiß ich, und ich sag’s, auf dass ihr’s nie vergesst,/die ihr in unsrem Land das Brot in Schande esst.
“ Die Zeilen wühlten ihn sichtlich auf, seine etwas hervorstehenden Augen, die ihm etwas Froschartiges gaben, wurden feucht. „Ich habe Elsschot gut gekannt“, er wandte seinen Kopf ab und nahm eine neue Zigarre aus der Schachtel. „Sie sollten das Gedicht zu Hause noch einmal nachlesen.“
    „Haben Sie Borms auch gekannt?“ Maarten erinnerte sich vage, dass der flämische Nationalist August Borms nach dem Krieg in Belgien als Kollaborateur erschossen worden war und er sich seinerzeit darüber gewundert hatte, dass der Schriftsteller Elsschot sich für ihn eingesetzt hatte.
    „Ja, aber Borms war viel älter. Ich war ein Studienfreund von Wies Moens, wenn Ihnen der Name etwas sagt.“
    „Der Kollaborateur? Der ist doch auch zum Tode verurteilt worden?“
    „Aber glücklicherweise hat er bei Ihnen in den Niederlanden Unterschlupf finden können.“
    Sie schwiegen. Vanhamme steckte sich seine Zigarre an. Gedankenverloren betrachtete Maarten den Wein in seinem Glas. Sowohl Bormsals auch Wies Moens waren in seinen Augen Landesverräter, und er hatte nie verstanden, warum seine Regierung Wies Moens Asyl gewährt hatte, auch wenn er sich nicht sonderlich damit beschäftigt hatte.
    „Für einen Holländer ist das schwer zu begreifen“, sagte Vanhamme, als erriete er seine Gedanken.
    „Ja“, gab Maarten zu. „Ich habe sie immer als Landesverräter gesehen.“
    Vanhamme nickte ergeben. „Ich nehme Ihnen das nicht übel. Aber für mich sind sie das nicht, auch wenn sie Fehler gemacht haben, große Fehler.“ Er schenkte ihre Gläser nach. „Sie hätten die Finger von den Deutschen lassen müssen.“
    „Und Sie haben das getan?“
    „Ja. Ich habe den Deutschen nie vertraut. Aber als sich 1916 – zwar unter den Deutschen, aber doch zum ersten Mal – die Gelegenheit bot, an der Genter Universität auf Niederländisch und nicht mehr auf Französisch zu lehren, habe ich die Chance ergriffen. Und dafür haben sie mich nach dem Krieg mit Ausschluss bestraft.“
    „Aber in Gent findet die Lehre doch auf Niederländisch statt?“
    „Ja, jetzt, seit 1930!“ In seiner Stimme lag Bitterkeit. „Aber wir waren es, die dafür gekämpft haben!“ Er nahm einen Schluck von seinem Wein und sah Maarten an. „Sie dürfen sich glücklich schätzen, dass Sie in einem Land leben, in dem es selbstverständlich ist, dass Sie ihre eigene Sprache sprechen. Bei uns war das nicht so. Wir wurden auf eine Weise gedemütigt, die Sie nicht für möglich halten würden.“
    *
    „Setz dich mal hier hin“, sagte Beerta. „Ich möchte mit dir

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