Das Camp
werden. Und er wollte die Zeit vor Tagesanbruch nutzen. In ein oder zwei Stunden würde auf der Straße garantiert mehr Verkehr sein.
Er schob die Karre auf die Straße zurück und packte Benni wieder hinein. »Ich kann doch selbst laufen«, protestierte Benjamin.
Aber kaum war sein Hinterkopf auf die Tannenzweige gesunken, war er schon eingeschlafen.
»Klar«, sagte Luk.
Sie mussten ein ziemlich jämmerliches Bild abgeben, wie sie da über diese abgelegene Waldstraße zogen. Benni von oben bis unten verdreckt in der Schubkarre, mit weit offenem Mund vor sich hin schnarchend. Er selbst war auch nicht viel sauberer.
Trotzdem war ihm seltsam leicht zumute. Fast unheimlich war ihm das. Er hatte keine Ahnung, wie es weitergehen würde. Wahrscheinlich würde er im Knast landen. Er hatte keinen Schulabschluss. Vermutlich würde er noch nicht mal eine Lehrstelle kriegen. Sein Vater und seine Mutter würden sich vielleicht für immer von ihm lossagen. Er hatte auch diesmal wieder versagt. Er hatte wieder nicht durchgehalten.
Aber irgendwie war das alles nicht wichtig für ihn. Er hatte Benjamin aus der Klärgrube geholt. Benni stank wie die Pest und er selbst sicher auch, aber Benjamin lebte.
Das war alles, was zählte.
Wirklich zählte.
Alles andere würde sich finden. Gut, er hatte versagt im Camp. Wie vorher auf der Schule und sonst überall. Aber das hier war anders. Diesmal fühlte er sich leicht und stark zugleich. Er musste nichts hinreden oder schönfärben. Er wusste einfach, dass er das Richtige getan hatte. Auch wenn sie ihn natürlich dafür zahlen lassen würden.
Dann eben Knast. Aber das würde er aushalten. Und schlimmer als im Camp würde es dort wohl kaum sein.
Er war so in Gedanken, dass er den Trecker überhörte, der ihnen entgegenkam. Es war der Traktor mit dem Güllewagen, der die Klärgrube leeren sollte. Harley hatte tatsächlich bis
zum allerletzten Tag gewartet. Er hatte sichergehen wollen, dass das Bassin randvoll war.
Luk versuchte, ganz ruhig zu bleiben. Ohne jede Hektik schob er die Karre von der Straße zwischen die Bäume. Vielleicht hatte er Glück und der Bauer auf dem Trecker bemerkte ihn gar nicht. Er war noch ziemlich weit entfernt. Oder er hielt ihn für ein Reh oder Wildschwein, das über die Straße wechselte.
Danach schaffte Luk höchstens noch einen Kilometer. Plötzlich bretterte der erste Lastwagen mit Baumaterial heran. Auf der offenen Ladefläche waren riesige weiße Packen mit Dämmmaterial mit roten und schwarzen Bändern festgezurrt.
Luk schob die Karre wieder in den Wald hinein. Feierabend für heute. Frühestens am Abend, wenn auf der Baustelle nicht mehr gearbeitet wurde, konnten sie es riskieren, ihre Flucht fortzusetzen.
Er fand einen dick mit Moos gepolsterten Platz unweit der Straße. Dort ließ er Benni vorsichtig aus der Karre gleiten und legte ihn so hin, dass es einigermaßen bequem für ihn sein musste. Benjamin bekam von der ganzen Prozedur nichts mit. Er schnarchte einfach weiter.
Luk ließ sich neben ihm ins Moos sinken. Aber lange hielt er es da nicht aus. Benni müffelte so stark, dass Luk sich einen Platz in zehn Metern Entfernung suchte. Die Schubkarre schob er hinter einen Baum. Im Vorbeifahren war sie so nicht zu sehen.
Von seinem Schlafplatz aus hatte Luk einen guten Blick auf die Straße. Er legte sich auf den Bauch und übernahm die erste Wache. Dachte er jedenfalls. Aber er musste sofort eingeschlafen sein. Geweckt wurde er von einem Auto, das mit quietschenden Reifen anhielt.
Im ersten Moment dachte er, dass er in seinem Bett im Schlafraum lag und träumte. Erst langsam wurde ihm klar, wo er wirklich war.
Der Wagen war ein silberner Volvo . Er hatte sich ein wenig quer gestellt beim abrupten Bremsen. Eine Frau stieg aus dem Auto aus.
Sie war wütend, das war sofort klar.
»Ich hasse dieses Mistding. Immer wenn es drauf ankommt, lässt es einen hängen.« Sie schüttelte genervt den Kopf. » Hier endet unsere Navigation. Das Ziel liegt in Pfeilrichtung! Was bilden die sich eigentlich ein? Die können einen doch nicht mitten in dieser Einöde hängen lassen.«
Auf der Beifahrerseite stieg ein Mädchen aus dem Volvo aus. »Tun sie doch gar nicht«, sagte sie. »Der Navi hat gesagt, dass es noch 4,6 Kilometer sind. Genau in dieser Richtung.«
Sie zeigte mit der Hand nach Südosten, dorthin, wo sich das Camp befand.
Doch das bekam Luk nur ganz nebenbei mit. Viel wichtiger war, dass er das Mädchen kannte. Er wusste nicht sofort,
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