Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
auch nicht im Inneren jedes Menschen, sondern in der Zukunft, in einem Land, das ich dir zeigen werde . Es ist keine ferne Zukunft, der man sich im Namen künftiger Generationen opfern muss, sondern eine Zukunft, die durch den Willen zur Umkehr jederzeit in der Gegenwart anbrechen kann.
Die Verheißungen, die Abraham gegeben wurden, steigern sich. Nachkommen und Land waren nur ein bescheidener Anfang. Am Ende dieser Entwicklung steht die radikal weltumstürzlerische Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde. Im Diesseits.
Der Glaube an den Fortschritt ist in der Welt, zwar noch rudimentär, embryonal, aber als neue Möglichkeit vorhanden. Aus der Möglichkeit wird Wirklichkeit, wenngleich noch viel Zeit vergehen wird, bis der Fortschrittsglaube als solcher benannt und kritisiert wird. Denn auch das hat Abraham begründet: die permanente Kritik alles Bestehenden. Permanente Weltveränderung wird die Folge sein. Hier, im demokratisch-kritischen und selbstkritischen Denken, dem ein unbedingter Wille zur Wahrheit zugrunde liegt, steckt die vierte Innovation, die durch Abraham in die Welt gekommen ist.
Mein Vater war ein umherirrender Aramäer; und er zog nach Ägypten hinab und lebte dort als Fremdling mit wenigen Leuten (5 Mose 26, 5) – so lautet eine der ältesten Aussagen des Volkes Israel über seine Herkunft. Wie schon Abraham, trug dieser umherirrende Aramäer einen Traum mit sich herum, einen Traum von einer eigenen Heimat, die aber anders und besser ist als alles, was er auf der Welt als Heimat der anderen kennengelernt hat. Aus dem Traum entwickelt sich später die Thora, das Gesetz, die Sozialordnung Gottes, eine mobile Heimat, die das immer wieder verfolgte, deportierte, in alle Winde zerstreute Volk der Juden im Marschgepäck mit sich führen und jederzeit überall aus- und auch wieder einpacken kann.
Führen andere Völker ihre Herkunft meistens auf Götter und Halbgötter zurück oder zumindest auf sagenhafte Sieger und strahlende junge Helden, so handelt es sich beim Stammvater der Juden, Christen und Muslime um einen Halbnomaden, einen gewöhnlichen Viehhirten, um einen Mann von geringer Herkunft, aber mit großer Zukunft. Und das ganze Volk hat seinen Ursprung in ägyptischen Sklaven und Fronarbeitern – was die anderen Völker als skandalös empfanden. Und auch als unausgesprochene Kritik an ihnen und ihrer hagiographischen, selbstverherrlichenden Geschichtsschreibung.
Die Geschichtsschreibung der Juden ist von Anfang an um Wahrhaftigkeit bemüht, nicht nur, was die eigene Herkunft anbelangt, sondern auch, was den eigenen Charakter betrifft. Keine Schwäche, kein Versagen wird verschwiegen. Heldenhafte Eigenschaften, Mut, Stärke, Klugheit oder Macht sucht man bei Abraham vergebens, aber Angst, Schwäche, Feigheit, Egoismus werden beim gesamten biblischen Personal – heißt es nun Abraham, Jakob, Mose, Aaron, David oder Petrus – schonungslos aufgedeckt. Trotzdem arbeitet Gott mit diesem Personal. Oder gerade deshalb?
Gott akzeptiert die natürliche Ordnung nicht, die den Tüchtigen belohnt und den Untüchtigen bestraft, denn Tüchtigkeit ist zum geringsten Teil eigenes Verdienst. In den natürlichen Ordnungen erkennt Gott den Grund, warum die Welt nicht funktioniert. Deshalb etabliert er in seinem Volk eine andere Ordnung. Symbolisch deutlich wird das an der Missachtung zentral wichtiger Regeln in der altorientalischen Welt des Abraham. Da genossen die jeweils erstgeborenen Söhne besondere Rechte. Sie übernahmen die Rolle des Familienoberhaupts nach dem Tod des Vaters. Sie wurden als Haupterben eingesetzt. Dieser alte Brauch galt noch in der bäuerlichen Welt Europas bis in die jüngste Vergangenheit.
Gott bricht diese Regel. Ismael, Abrahams Erstgeborener, wird mit seiner Mutter weggeschickt. Allerdings war er ja auch «nur» der Sohn der Nebenfrau Hagar. Isaak, der zweite Sohn, Sohn der Hauptfrau Sarah, bekommt den väterlichen Segen, also die Rechte des Erstgeborenen. Es geht immer ein bisschen holprig zu in den Familien Gottes, immer ein bisschen «gschlampert», nie bürgerlich glatt. Isaaks Frau Rebekka gebiert ihm Zwillinge, Jakob und Esau. Esau kommt als Erster auf die Welt, aber den Segen bekommt der Zweitgeborene, Jakob. Oder besser: Er erschleicht ihn sich, offenbar mit Gottes Einwilligung.
Als der Prophet Samuel in Gottes Auftrag als «Headhunter» durch Israel reiste, um den Posten des Königs zu besetzen, schickt ihn Gott zu einem Mann namens Isai. Sieben Söhne
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