Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
Hitler kam an die Macht. Noch immer wäre Widerstand möglich und vielleicht sogar erfolgreich gewesen, wenngleich jetzt schon mit größeren Opfern verbunden. Jetzt brauchte es Mut und die Bereitschaft, sich Ärger, Karrierenachteile, vielleicht sogar Schikanen, Prügel und Gefängnis einzuhandeln.
An diesem Mut fehlte es. Darum konnte Hitler das ganze Volk gleichschalten. Opposition war nun lebensgefährlich. Kein Wunder, dass Hitler kaum noch auf Widerstand traf. So konnte er seinen Krieg führen. So konnte er sein Vorhaben, den Genozid an den Juden zu betreiben, fast wahr machen. Weil die Christen nicht bereit waren, ein kleines Opfer zu bringen, als dies noch weitgehend gefahrlos möglich gewesen war, trieben die Verhältnisse auf einen Zustand hin, der dann 55 Millionen Opfer verschlang. Das sind nur die Todesopfer. Die vielen anderen Opfer sind in dieser Zahl noch gar nicht enthalten: die Verletzten an Leib und Seele, die Vergewaltigten, die Heimatvertriebenen, die Ausgebombten, die politischen Gefangenen.
Und dann gab es noch jene Minderheit, die sich selbst zum Opfer brachte, die Widerstandskämpfer. Etliche zehntausend Personen, Christen wie Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftler, Liberale und Nationalkonservative einte die Überzeugung, dass es so etwas wie ein göttliches oder moralisches Gesetz gibt, das unbedingt gelten muss, koste es auch das Leben. Und dann kostete es sie das Leben. Sie bewiesen den Gehorsam Abrahams, aber im Gegensatz zu ihm mussten sie ihr Opfer tatsächlich bringen, weil es für den normalen Gehorsam, der Gott schon gereicht hätte, längst zu spät war. Denn darin besteht die eigentliche Pointe der Geschichte von Abraham und Isaak: Dort, wo Menschen prinzipiell bereit sind, Gott sich selbst und ihr Liebstes zu opfern, dort kommt es gar nicht erst so weit, dass Opfer tatsächlich nötig sind.
Die Geschichte zeigt auch, worin der Unterschied besteht zwischen fundamentalistischem Kadavergehorsam und Abrahams Gehorsam gegen Gott: Das eine ist ein Hass, der andere mit in den Tod reißt, das andere ist ein aufmerksames Horchen, Hören und Wahrnehmen und die Bereitschaft, dem Gehörten auch dann zu folgen, wenn die eigenen Interessen, ja, das eigene Leben und das der Angehörigen, bedroht sind.
Es steht also alles schon im Alten Testament. Gottes Anspruch an den Menschen ist von Anfang an so total, wie es sich in der Abrahamsgeschichte und im ersten Gebot ausdrückt: Ich bin der Herr, dein Gott, … du sollst keine anderen Götter haben neben mir . (2 Mose 20, 2–3) Und Jesus nimmt nichts davon zurück, sondern bekräftigt diesen Anspruch, wenn er sagt: Niemand kann zwei Herren dienen: entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird dem einen anhangen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon . (Matthäus 6, 24) Gott duldet keine Aufspaltung des Menschen in zwei verschiedene Personen, von denen die eine werktags als Profi in der Bank den Gesetzen des Marktes gehorcht und die andere sonntags als Freizeitchrist zu Hause in der Familie und in der Kirchgemeinde ein bisschen ihrem Gott dient.
Da kann man nun fragen: Wie soll das denn gehen? Was soll ein Banker, ein Unternehmer oder ein Vorstandsvorsitzender denn machen, wenn das Konkurrenzunternehmen Leute rausschmeißt, um die Rendite zu erhöhen? Die Antwort ist einfach: Er muss mitziehen, muss ebenfalls Leute rausschmeißen, denn wenn er’s nicht tut, werden sie entweder gefeuert, oder das ganze Unternehmen wird über kurz oder lang aufgekauft oder vom Markt verschwinden.
Deshalb sagt Gott: Ich will etwas Besseres für euch als diese Konkurrenzgesellschaft, die beständig mehr Verlierer als Gewinner produziert und die Kluft zwischen Arm und Reich kontinuierlich vertieft. Ich will eine ganz andere Gesellschaft, aber eben dazu brauche ich jeden Menschen ganz. Mit Teil- und Freizeitchristen, die durch ihren Job im Alltag immer wieder genötigt sind, mir ins Handwerk zu pfuschen, kann ich diese andere Gesellschaft nicht aufbauen. Mit Viertel-, Halb- und Bruchstückchristen lassen sich allenfalls die Kollateralschäden der Konkurrenzgesellschaft reduzieren oder reparieren. Nur sonntags von einer Welt träumen, in der andere Gesetze gelten, das reicht nicht. Man muss aufwachen und werktags anfangen, den Traum zu realisieren.
Wer das Reich Gottes auf Erden errichten will, muss sich Gott also ganz unterstellen. Es geht nicht anders. Immer wieder werden wir bei der
Weitere Kostenlose Bücher