Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
Lektüre der Evangelien mit der Nase darauf gestoßen: Er (Jesus) sah aber auf und schaute die Reichen, wie sie ihre Opfer einlegten in den Gotteskasten. Er sah aber auch eine arme Witwe, die legte zwei Scherflein ein. Und er sprach: Wahrlich ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr denn sie alle eingelegt. Denn diese alle haben aus ihrem Überfluss eingelegt zu dem Opfer Gottes; sie aber hat von ihrer Armut alle ihre Nahrung, die sie hatte, eingelegt . (Lukas 21, 1–4)
Gott will vom Menschen alles, egal, ob er viel oder wenig zu bieten hat. Die Vorsichtigen, die nur etwas von ihrem Überfluss abgeben, kann er so wenig gebrauchen wie die Teilzeitchristen, denn wer sein Leben findet, der wird‘s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird‘s finden (Matthäus 10, 39). Darum: Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen . (Matthäus 6, 33)
Es führt kein Weg daran vorbei, die Bergpredigt ist so gemeint, wie sie in der Bibel steht. Hier ist der Text ausnahmsweise einmal ganz wörtlich zu nehmen und nicht zu deuten. Es ist ja auch ein durch und durch profaner Text. Da gibt es nichts zu entmythologisieren oder zu spiritualisieren. Es gilt, was dasteht: Christ sein heißt, alles auf eine Karte zu setzen.
Es ist ein Wagnis, ein Abenteuer, es ist nichts für Vorsichtige, nichts für Leute mit schwachen Nerven, nichts für Ängstliche, nichts für Bequeme – mit einem Wort: Es ist nichts für die Masse, und damit sind wir bei einem weiteren Kernelement des christlichen Glaubens: das Gesetz der kleinen Zahl. Es gibt zwei Milliarden Christen auf der Welt, aber eigentlich ist das Christentum ein Minderheitenprogramm, und obwohl es dem Glauben um egalitäre Verhältnisse geht, ist er elitär. Auch das zieht sich als roter Faden durchs Neue Testament: Gehet ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführt; und ihrer sind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind ihrer, die ihn finden . (Matthäus 7, 13–14)
Seinen Jüngern sagt Jesus: Ihr seid das Salz der Erde . (Matthäus 5, 13) Salz, nicht Zucker. Implizit meint das: Eine Prise genügt. Zu viel wäre gar nicht so gut. Wenige nur braucht Gott. Eine kleine Elite genügt ihm, ein kleines, feines Trüppchen, dem Gott sagen kann : Ihr seid das Licht der Welt . (Matthäus 5, 14)
Das klingt zunächst verblüffend. Will Gott denn nicht alle in seinem Reich versammeln? Legt er auf die große Masse gar keinen Wert? Doch. Alle sollen gerettet werden. Aber dafür ist es nicht nötig, dass alle sich bei dem Versuch überfordern, der Radikalität der Bergpredigt gerecht zu werden.
Jesus predigte das Evangelium vom Reich Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllet, und das Reich Gottes ist nahe. Tut Buße und glaubt an das Evangelium . (Markus 1, 14–15) Jesus sagte nirgends: Folgt mir nach und werdet meine Jünger.
Es sind nur zwölf, die Jesus als seine Jünger beruft. Von ihnen verlangt er das Ganze, alles, die radikale Nachfolge. Von der Ehebrecherin dagegen verlangt er nur, dass sie hinfort nicht mehr sündige. Auch vom Zöllner Zachäus verlangt er keine Nachfolge, sondern zeigt sich einverstanden mit dessen Vorschlag, in Zukunft die Hälfte seines Vermögens den Armen zu geben und zu Unrecht eingetriebenes Geld vierfach zurückzuerstatten. Aber Zachäus kann seinen Beruf weiter ausüben. Die Jünger mussten ihre Berufe aufgeben. Den toten Lazarus erweckt Jesus zu neuem Leben. Wenn einer Grund gehabt hätte, Jesus nachzufolgen, dann Lazarus. Aber Jesus verlangt es nicht, und Lazarus tut es nicht.
Gott weiß, dass die Menschen verschieden sind und dass er daher nicht von allen dasselbe verlangen kann. Er verlangt Verschiedenes, aber immer Entschiedenheit. Die Vielen, denen Jesus geholfen hat, die ihm regelmäßig zuhören oder sonstwie mit ihm zu tun hatten, stehen entschieden zu ihm, fühlen sich ihm eng verbunden. Sie sympathisieren mit ihm, unterstützen ihn, laden ihn in ihre Häuser ein, bieten ihm Übernachtungsmöglichkeiten. Oft heißt es, wenn er mit seinen Jüngern irgendwo aufkreuzte: Eine große Volksmenge folgte ihnen.
Es genügt, dass wenige vorangehen. Die Wenigen strahlen auf ihre Umgebung aus wie ein Licht im Dunkeln. Eine Kerze vertreibt nicht die Finsternis, und doch leuchtet sie weit in die Dunkelheit hinein und liefert allen, die im Dunkeln leben,
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